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Hobby-Barfuß-Renaissance-Forum

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Dieses Thema hat 5 Antworten
und wurde 1.779 mal aufgerufen
 Barfuß und Leben
Jörg 2 Offline




Beiträge: 938
Punkte: 927

16.06.2009 21:35
Barfuß in nächtlicher Stadt - ein Kurzessay (+ Fotos) Zitat · Antworten

Prolog
Die Strassenlaternen leuchten einsam vor sich hin, gedämpft klingen Geräusche aus benachbarten Wohnungen. Entfernt beenden Hundebesitzer ihren letzten Gassigang und verschwinden zur Nacht ins Haus. Dann ist es still, nur das schwache Summen der nächtlichen Stadt, das schimmern des Nachthimmels und die Klangspuren der schlafenden oder noch wachenden, menschlichen Gesellschaft sind Kulisse…

Nächtliche Barfußgänge in der Stadt – eine ganz eigene Geschichte. –


Auftakt - der nächtliche Planet, barfuß erfühlt
Bestimmt habt ihr schon manches Mal nachts Eure Runden gedreht, sei es auf dem Heimweg von einer erloschenen Party, oder aus einem anderen Grund. Irgendwann war es, da entdeckte ich meine Liebe für nächtliche, sommerliche Städte. Der eigene Arbeitstag ist verklungen, die Sommerhitze hat sich gelegt. Nichts steht mehr an, nichts das noch wichtig wäre. Ich setze mich ins Auto oder gehe direkt von der Wohnung aus. Es ist vielleicht 23 Uhr. Vielleicht ist es auch ein Sonntag. Das macht einen Unterschied, denn sonntags gehen die Menschen früher schlafen. Ich schlafe nicht, sondern entschwinde meiner Wohnstatt, - niemand sieht mich. Sie Sohlen fühlen sich über warmen Asphalt. Der Weg, den man tagsüber, zur Arbeit oder auf beruflichen Verrichtungen hundertmal in Schuhen geht, jetzt gehe ich ihn privat, barfuß, pur. Die Tagesgänge, die mit Schuhen, - alles nur Proben für den Ernstfall. Und der ist jetzt, barfuß, mit mir als Hauptdarsteller, und Direktkontakt zum nächtlichen Planeten. Sie dreht sich, die Nacht-Erde, und ich laufe über ihr entlang, wie wenn man eine Rolltreppe verkehrt herum ansteuert. Ein Traumweg beginnt…


Vergleichende Feldforschung
Das Erlebnis von eben wiederholt sich: viele Tagesadressen, die ich passiere, wollen jetzt anders an mir vorbeigleiten. Viele Menschen, Verkäufer, Beamten, Pförtner, Polizisten, Schaffner, fehlen jetzt in der Landschaft. Wie eine Spielzeugeisenbahn, auf der man zuvor mit einem Staubsauer die kleinen Modellmenschen weggesaugt hat. Ich bin allein, die Stadt gehört mir.

Erlebnisse mit Aufkommen des müden Gehirns
Irgendwann arrangiere ich mich mit der Situation, werde stabiler, fester, trete entschlossener auf, vergesse die anderen, und bin zunehmend nur noch bei mir. Die Gedankenwellen glätten sich. Ich laufe. Zwei gegensätzliche Dinge kommen zusammen: die eigene Müdigkeit, und das Stimulanz des Barfußlaufens. Vielleicht kenne ich den Weg, vielleicht suche ich mir neue Wege. Ich muss aufpassen, mich nicht zu verlaufen. Ab und zu gleiten die Gedanken wieder ab, mein Gehirn zeigt an, dass es zunehmend auf Schlaf umstellt. Eine Art Traumwandler bin ich geworden. Ich spinne mich ein in Gedanken. Die Erlebnisbilder des Tages werden zu Gedankenwolken. Da, plötzlich, eine Tür geht auf. Jemand tritt heraus, verabschiedet sich von seinem Gastgeber, besteigt sein Auto und fährt ab. Vorher trifft er auf mich. Was mag er denken? Ich sei ein aus seinem Zimmer entwichener Schlafwandler?

Match ohne Publikum
Weiter.
Die Stelle ist passiert, die Sohlen haben sich fortgearbeitet. Der Boden der nächtlichen Stadt atmet die Tageswärme ab. Ich profitiere davon. Auch rauer Asphalt ist nun glatt, gelegentlich liegen ein paar Samen und Blätter von Bäumen und Vorgartensträuchern herum. Wo tagsüber der Lärm dröhnt, ist jetzt jedes Knistern, jedes Geräusch hörbar. Nur in der Ferne schallen Züge, Fernstrassen oder Industrie.
Ein großer Platz liegt plötzlich vor mir, menschenleer. Ich stehe am Rande, um ihn zu queren. tagsüber rollen tausende Autos darüber. Jetzt gehört der Platz allein meinen Füßen, die ihn messen dürfen. Wie fühlt sich der Asphalt an? Ich spüre die Rillen, welche die Autos in der Fahrbahn hinterlassen haben. Kleine Dinge, von jemanden vergessen oder mitten auf der Kreuzung verloren, ich spüre sie auf.


Bildzitat: http://www.deha-software.de

Zusammenhanglos wechseln Ampeln die Farbe, ein einsames Taxi fährt an. Ein Kellner sichert die Außentische und macht sich in den Feierabend. Eine Pizzeria hat den Ofen ausgeschaltet, ein Hauptschalter klackt, dann geht das Licht auch dort aus. Auch hier bemerkt mich niemand.

Mit dem Instinkt des wilden Tieres lautlos vorbei
Da, plötzlich werde ich aufgeschreckt: jemand grölt herum, lacht. – Besoffene und Randaletypen begegne ich nicht gerne auf diesem Weg. Doch die Stimmen kommen aus einem Garten, in dem gefeiert wird. Obgleich die Ausgelassenheit nur einen Meter hinter den Sträuchern des Vorgartens abläuft, bemerkt mich niemand. Lautlos gehe ich dicht an den Menschen vorbei, und niemand nimmt mich wahr. Ein Schattengang ist das, was ich da mache. Ja, als ob sich mein eigener Schatten losgelöst hätte und nachts barfuß durch die Gassen geht, auf den Spuren meiner Tageswege…

Eine Industrielandschaft kommt in mein Blickfeld, vielleicht jenseits von Absperranlagen oder Flüssen. Hier wird gearbeitet, ein Rauschen und Tosen ist zu vernehmen. Es stört meine nächtliche Andacht, ein Gefühl von Unruhe schleicht sich ein. Ich will zurück in meine Beschaulichkeit der nächtlichen Barfußtritte...


Bildzitat: http://www.rutschmann.biz/

Nachtmenschen
Gibt es Menschen der nächtlichen Stadt? Ja, es gibt sie, und ich bin zweifellos einer von ihnen geworden. Was macht den Menschen zum Nachtmenschen? Einmal gibt es die restlichen Passanten auf dem eiligen Weg nachhause. Aber die meine ich nicht. Ich meine Nachtmenschen wie mich, die zur nächtlichen Stadt gehören. Du findest sie nicht durch eine Kombination von Tageszeit und Ort. Du findest sie durch die Wiederholung. Wie ist das gemeint?
Du gehst und gehst immer wieder durch die nächtliche Stadt. Da, auf einmal fällt dir auf, dass es Menschen gibt, die immer nachts und oft an bestimmten Orten ein Stück Leben in der Stadt führen. Auf immer derselben Parkbank schläft ein Obdachloser. Schon eine Zeit vorher hält er sich in der Nähe auf. Wenn die „Luft rein“ ist, bezieht er verschämt seine Bank. Was wird er im Winter tun? Dasselbe?

Zwischen Zwang und nächtlicher Freiheit
Eine Frau fällt mir auf. Jedesmal, so oft ich barfuß meinen nächtlichen Weg ziehe, seit Jahr und Tag begegnet sie mir immer wieder. Mit zahlreichen Plastiktüten ist sie bestückt. Irgendwann beschließe ich, den Vorteil meiner barfüßigen Lautlosigkeit auszunutzen und ihr Anliegen zu erforschen. Was treibt sie mit Plastiktüten nachts auf die Straßen. Eines Nachts, aus unzähligen Bruchstücken oft nur sekundenlanger Beobachtungen, setze ich mir ähnlich einer Rasterfahnung ein Bild von ihrem Motiv zusammen: sie verlässt mit leeren Tüten das Haus. Dann sammelt sie Parks und Anlagen auf. Dort sammelt sie kleine Zettel, Bonbonpapiere und wertlose Hinterlassenschaften der Tagesmenschen ein und verstaut sie in den Tüten. Am Ende wirft sie die vollen Tüten weg, in die Mülltonne. Sie erscheint wie eine Getriebene, die Zwanghaftes tut. Alles muss ordentlich sein, würde sie mir sicher sagen, damit der neue Tag kommen kann… Schon mehrfach sind wir uns über den Weg gelaufen. Was mag sie von mir denken?

Nachtjäger
Ein Rascheln regt sich, das selbst von den sanften Erschütterungen meiner nackten Sohlen noch aufgeschreckt wird. Es kommt aus den Vorgärten, den Winkeln der Parkanlagen, es wuselt über Rasenflächen von Wohnanlagen oder unter geparkten Autos. Die Igel sind, besonders im Spätsommer, meine liebsten nächtlichen Begleiter. Oft kenne ich schon die Stellen. Und die Igel scheinen mich zu kennen. Hier ist es die Kombination von Zeit und Ort, welche das Vertrauen der Tiere schafft. Wenn zur gleichen Zeit am gleichen Ort Vertrauliches passiert, schöpft das Wildtier dieses Vertrauen und zeigt sich mir. Beliebte Nachtgäste sind auch Fuchs und Hase, aber auch Marder, Katzen und Nachtvögel beleben das Bild. Oft sitzen sie auf Laternen über mir. Die Lautlosigkeit meiner Sohlen genügt, dass sie aufgeschreckt über mir durchstarten. Wer von uns hat den größeren Schreck?

Das Leben der Dinge
Auch nächtliche Gegenstände geben Zeichen von sich. Autos, die vom Tagesbetrieb warmgefahren und geparkt sind, geben ihre Restwärme ab. Ein Knacken geht oft von ihnen aus. Heizungsmaschinen, Lüftungen und Ventilatoren von Kneipen rattern vergessen vor sich hin. An Ferngasstationen rauscht das Gas der Pipelines. Und in den Höhlen der Kanalisation rinnen Bäche von Abwasser in die dunkle Tiefe. Noch einmal geht der Blick über den Nachthimmel, der trotz der vielen schlafenden Menschen ringsum scheinbar nur mir allein zu gehören scheint. Dann beende ich den Tag. Sie Sohlen sind wie poliert. Sie haben die Stadt "erfasst". Ich war da, und die Vielen morgen früh mit ihren Schuhen, Autos und Lärmpegeln, werden es nicht erfahren, dass ich nach - und vor ihnen da war.

Nächtliche Stadt, barfuß nachgespürt von
J.
© Alle Rechte beim Autor.


Bildzitat: http://img206.imageshack.us/


Charles B. ( gelöscht )
Beiträge:

17.06.2009 20:11
#2 RE: Barfuß in nächtlicher Stadt - ein Kurzessay (+ Fotos) Zitat · Antworten

Hi Jörg,

wunderbar stimmungsvoller Bericht. So richtig zum Nachfühlen. Beim Lesen stelle ich mir andere, mir bekannte Straßen vor, die einsam in der Dunkelheit liegen und die Tageshitze an die Füße zurückstrahlen, während die Luft bereits angenehm abgekühlt ist.

Ob die Müllsammeltante einfach das Bedürfnis hat, etwas Gutes zu tun auf ihrem regelmäßigen Spätspaziergang? Ganz zwanglos?

Übrigens hat Jörg (FFB) im HBF lobend auf Dein Essay hingewiesen, was vielleicht zu den hohen Klickzahlen beigetragen hat.

Herzlichen Dank und beste Grüße

Charles


Jörg 2 Offline




Beiträge: 938
Punkte: 927

17.06.2009 21:13
#3 RE: Barfuß in nächtlicher Stadt - ein Kurzessay (+ Fotos) Zitat · Antworten

Hallo Charles und allseits,

das ist aber hübsch, mit meinen bescheidenen Worten nette Gäste angezogen zu haben. Ich nehme das zum Anlass, öfter mal ein paar Zeilen auf die "andere" Art hier zu posten.

Herzlichen Gruss an Jörg (FFB) und Genossen im gelben Forum, dank für die Aufmerksamkeit. Vielleicht ist es ja garnicht so wichtig, wo ein Beitrag erscheint, sondern eher, was er sagt und in Menschen bewegt...

Schönen Abend noch allseits
J.

P.S.
Zum Nachtrag noch ein Erlebnis von gestern abend:

ich ging abermals durch die Stadt, es hat wieder viel Spaß gemacht. So gegen Mitternacht war alles menschenleer. Da, an einer Stelle mit undurchdringlichen Büschen kam eine Fähe (Füchsin) hervor, stellte sich etwa 20 Meter vor mir auf und grölte gellend laut gen Himmel. Sie war nicht rotbraun, sondern beige-meliert gezeichnet und schon älter. Immer wieder stieß sie ihren Laut aus. Ich entfernte mich gelassen, wohl wissend, dass wir eine kleine Gemeinsamkeit hatten. Bestimmt werde ich sie wieder sehen...


Siegfried Hase Offline




Beiträge: 454
Punkte: 413

18.06.2009 18:44
#4 RE: Barfuß in nächtlicher Stadt - ein Kurzessay (+ Fotos) Zitat · Antworten

Salut Jörg!

Ein sehr schöner, aufwändig gemachter, profesioneller Bericht! Sehr angenehm und unterhaltend.

Auf einen solch guten Bericht kann man eigentlich keinen Komentar schreiben, allenfalls, sowohl Bericht als auch Verfasser loben!

Beste Grüße
und die Hoffnung auf mehr so schöne Berichte, von denen ein forum zehrt und die es lesenswert machen

Gerold


kerstin Offline

Admina


Beiträge: 2.110
Punkte: 1.181

19.06.2009 10:02
#5 RE: Barfuß in nächtlicher Stadt - ein Kurzessay (+ Fotos) Zitat · Antworten

Hallo Jörg,

heute komme ich endlich auch einmal dazu, Dir hier auf Deinen hervorragenden, besonders beeindruckenden Beitrag zu antworten. Es ist ein Beitrag, der so natürlich und hintergründig von Dir erzählt wurde, so daß man den Eindruck gewinnt, man war selbst auch dabei. Herzlichen Dank dafür. Die Bilder sind sehr schön und besonders stimmungsvoll. Solche Beiträge werten ein Forum sehr deutlich auf. Das Bild mit dem Industriegebiet spricht mich auch sehr an, denn alleine durch das Lichtspiel und das Spiegelbild im davor entlanggfließenden Fluß beschreibt dieses Bild etwas ganz besonderes. Ich würde mich sehr auf weitere derartige Beiträge von Dir freuen! Wo sind diese Bilder eigentlich entstanden?

Nachts bf laufen ist wirklich total anders als am Tage. Lange genug hatte ich es wegen meinem ehemaligen "Traumjob" tun müssen, heute mache ich das freiwillig. Schön ist es, wenn man nachts irgendwo bf herumgeht. Die Sinne, die Eindrücke, die man hier gewinnt, sind nachts ganz anders als am Tag, wenn die übliche Hektik über einen hereinbricht. Sehr gerne ont oft gehe ich spät abends noch meine Runden drehen. Neute regnet es natürlich "mal wieder". Bin mal gespannt, wie "genial" dieser Sommer sein wird, obwohl es eigentlich schon längst Herbst ist...

Viele Grüße,

Kerstin


Jörg 2 Offline




Beiträge: 938
Punkte: 927

19.06.2009 16:08
#6 RE: Barfuß in nächtlicher Stadt - ein Kurzessay (+ Fotos) Zitat · Antworten

Hi Kerstin,

ja das Bf nachts hat einen eigenen reiz, wenn der Boden noch warm ist, aber Luft kühl die Beine umspült...

Die Bilder sind Bildzitate aus dem Web, die ich als Illustration für geeignet hielt. Die Rechte sind bei dei Autoren, daher für nähere Infos auf den jeweils zitierten Link klicken und da nachsuchen.

Wo die Bildzitate fehlen, sind es meine eigenen Bilder.

Bin jetzt etwas eilig,
daher ein Gruss auf die Schnelle
J.


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