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#1

Reise nach Norddeutschland, 1. Tag

in Reiseberichte 27.10.2013 11:02
von Michael aus Zofingen | 763 Beiträge | 442 Punkte

Am Samstag, den 19.10.2013 um 18.30 Uhr fand ein Treffen ehemaliger Pennäler des Pinneberger Johannes-Brahms-Gymnasiums im Hotel Fuchsbau auf dem Krupunder statt, davon habe ich berichtet. Da ich nicht mit überteuerten IC’s und ICE’s anreisen wollte, sondern mit Offtopic-Fahrzeugen des Nahverkehrs, startete ich die Anreise bereits am Freitag. Ich war bereits im Besitz einer „Quer-durch-Land-Karte“ (am Samstag zuvor in Weil/Rhein besorgt) und einer Fahrkarte Zofingen-Basel SBB (am Abend zuvor aus Automaten gezogen). Somit war schon mal ein Verpassen von Zügen wegen klemmender Automaten oder Schlangen (Menschenschlangen natürlich) davor ausgeschlossen. Mit pünktlichen Anschlüssen kann man ohnehin nicht rechnen. Weiterhin wollte ich mich nicht durch allzu schweres Gepäck selbst behindern. Der kleine Rucksack hatte zu reichen, für „unechte Gepäckstücke“ war kein Platz.

Mit dem Velo fuhr ich bis zum Zofinger Bahnhof. Es war ca. 6°C warm, der Himmel war klar, ich war barfuß, trug eine kurze Hose, die die Bezeichnung kurz auch verdient, und ein T-Shirt. Die Jacke benötigte ich für die kurze Strecke nicht. Die Leute auf dem Bahnsteig waren deutlich winterlicher gekleidet als ich, aber böse Bemerkungen gab es nicht. In Basel SBB hatte ich 40 Minuten Aufenthalt. Lieber so, als einen Zug später fahren und bei Verspätung und nur 6 Umsteigezeit den Anschluß verpassen. So hatte ich noch Zeit, aus dem Automaten die Fahrkarte für die Rückfahrt auf dem Schweizer Netz zu lösen. Dort war gerade ein Mann am Fegen und stellte die berühmt-berüchtigte K-Frage auf Schweizerdeutsch. Überraschenderweise war es in Basel neblig, ich vernahm die Worte: „Der ist ja barfuß, mitten im Winter!“ Wie sind die Leute verweichlicht! Oder liegt es daran, daß man schon Weihnachtsgebäck in den Läden kaufen kann und es deswegen schon Winter sein „muß“? Ich war aber nicht der einzige, der nicht „rundum winterlich“ gekleidet war: Ein Mann schob sein Velo durch den Bahnhof, er trug eine bis zum Knie reichende „kurze“ Hose, dazu Halbschuhe, Sockenlosigkeitvortäuschsocken, Windjacke und Pudelmütze. Eine junge Frau war untenrum zwar winterlich gekleidet, jedoch trug sie ein Top mit Spaghettiträgern, ihre fette Winterjacke hatte sie um die Hüften gebunden. Eine andere Frau trug Flipflops in Kombination mit ansonsten bedeckungsreicher Kleidung.

Weiter ging es mit der S-Bahn bis Basel Badischer Bahnhof, mit dem RE bis Offenburg, wo ich in den RE Richtung Karlsruhe wechselte. Mittlerweile war es recht warm und sonnig. Ich blieb aber nicht lange in diesem Zug, sondern wechselte in Achern in eine „Weder-Fisch-noch-Fleisch-Bahn“, wie die nach „Karlsruher Modell“ mal auf Eisenbahn-, mal auf Straßenbahnschienen verkehrenden Züge manchmal bezeichnet werden. Dieser Zug füllte sich an den vielen Stationen mit Schülern, viele behielten ihre dicken Jacken an, total zugeknöpft. Wer eine Mütze trug, behielt sie auch auf dem Grind. Als ob in der Bahn dickster Winter herrscht. Da überrascht es nicht, daß mancher Schüler erstaunt war über meine der Witterung und nicht dem Kalender angepaßten Kleidung. Ein „wohlgenährter“ Knabe zuckte sogar seine Handykamera und fotografierte mich, um die Bilder dann seinen Kumpels zu zeigen.

Mit dieser S-Bahn fuhr ich sogar über den Karlsruher Hauptbahnhof hinaus, um dann mit einem Tram zurückzufahren. Gegenüber dem Hauptbahnhof befindet sich ein Zoo, von dessen Existenz ich bisher nichts wußte. Vor dem Kassenhäuschen standen nur wenige Menschen. Ich wollte nicht in den Zoo. Wer ohne Entrichtung des Eintrittsgeldes in den Zoo wollte, hätte gar nicht einmal einen hohen Zaun übersteigen müssen, sondern er hätte bloß durch eine Reihe von Brunnenbecken waten müssen. Aber wer macht so was schon! Da holt sich Otto-Normal-Füdlibürger doch nasse Schuhe und nasse Hosensäume! Ob im Hochsommer öfters Leute, die keine Lust haben, stundenlang in der Kasse zu warten, den billigeren „Wasserweg“ wählen? Im Oktober würde man ja in Sommerkleidung im Zoo auffallen, so daß die wegen Erschleichung von Leistungen gerufene Polizei ein leichtes Spiel hätte.

Um 14.08 Uhr ging es mit einem RE über Speyer nach Mainz, wobei ich in Ludwigshafen außerplanmäßig den Zug wechseln mußte. Aber den Anschluß, eine S-Bahn nach Frankfurt Hbf., erreichte ich. Auf der Treppe des Mainzer Hauptbahnhofs herrschte Gedränge, auch war eine Gruppe von Pfadpfindern unterwegs. Als ich sie überholte, hörte ich Stimmen wie: „Ihh, barfuß!“ In der überfüllten S-Bahn trugen auch ein paar Männer „kurze“ Hosen, ebenso auf dem Frankfurter Hauptbahnhof. Da ich 30 Minuten Aufenthalt hatte, ging ich noch durch ein paar Straßen der Stadt. Ich wurde von Besoffenen dumm angelabert, Bettler und Bettlerinen (überwiegend „undeutsch“ aussehend), die vor Hauseingängen lungerten, starrten auf meine Nichtschuhe. Und eine Frau stellte die berühmt-berüchtigte K-Frage – auf Hochdeutsch.

Um 17.20 Uhr ging es mit einem RE nach Kassel Hbf., dann mit einem Cantus-Zug nach Göttingen und Metronom nach Hannover Hbf. (Ankunft 22.23 Uhr). Hier hatte ich fast eine Stunde Aufenthalt. So konnte ich noch durch die Stadt gehen. Sowohl am Hauptbahnhof, als auch draußen, fiel meine Aufmachung auf. Eine nicht mehr nüchterne Gruppe, bestehend aus einem jungen Mann und zwei jungen Frauen, fing an zu lästern. Eine fragte, warum ich das machte, worauf ich entgegnete: „Das ist gesund!“ Sie konnten es nicht glauben. Ich holte Flyer und Zeitungsausschnitt aus dem Rucksack. Ein fragte, ob sie meine Beine anfassen dürfe. Sie durfte. Nachdem sie das tat, rief sie laut: „Das gibt es doch gar nicht, meine Beine würden eiskalt werden. Haben Sie denn keine Angst vor Glasscherben und Hundedreck?“ Nein, hatte ich nicht. Nun wollte die Frau auch noch mit mir fotografiert werden. Dann fragte sie die andere, ob sie nicht auch fotografiert werden wollte. Diese aber sprach angewidert: „Ich will doch nicht mit einem halbnackten Mann auf einem Bild zu sehen sein! Ich finde Männer mit nackten Beinen und nackten Füßen eklig. Bei Frauen ist nackte Haut ok, aber nur, wenn sie unter 30 sind und nicht zu dick! Und das ist sicher kein Mann, sondern eine Frau mit Männerkopf.“ Mein Schmunzeln konnte ich unterdrücken, denn aus medizinischer Sicht gibt es schließlich auch Frauen mit Männerkörper und Männer mit Frauenkörper, und sie sind gar nicht glücklich darüber. Dieser prüden Frau, die übrigens ebenso wie ihre Kollegin und der begleitende junge Mann nicht gerade den Prototyp des vollschlanken Menschen darstellten, was das sicher nicht bewußt.

Ich wanderte noch bis in die Nähe des Anzeiger-Hochhauses und dann wieder zurück. Die meisten Personen waren recht winterlich gekleidet. Eine Frau in der Fußgängerzone allerdings trug nur aus wenigen Riemchen bestehende hochhackige Sandalen ohne Socken (in Kombination mit langen Hosen und Mantel), ein älterer Mann, der sein Velo durch den Hauptbahnhof schob, trug Trecking-Sandalen ohne Socken, dazu lange Jeans und einen Rollkragenpulli. Sein wesentlich winterlicher gekleideter Begleiter, ebenfalls mit Velo, sagte, auf mich zeigend: „Schau, der ist ja noch sommerlicher gekleidet als du!“ Auf der anderen Seite des Hauptbahnhofs, am Raschplatz, lagen recht viele Scherben. Hier wimmelte es von Besoffenen. Aus einer Diskothek dröhnte laute Musik, junge Leute standen davor, um zu rauchen. Einige der jungen Frauen waren (zumindest obenherum) recht dünn gekleidet, Männer dagegen nicht (ob freiwillig oder ob ein Türsteher nachgeholfen hat, sei mal dahingestellt). Ich wollte ohnehin nicht rein. Ich wollte weiter nach Bremen, die nördlichste Großstadt, die ich noch vor Betriebsschluß erreichen würde. Auf dem Nachbarbahnsteig wartete ein junger Mann in kurzen (eigentlich unlangen) Hosen, den einzigen, der mir in Hannover begegnet war.

Um 00.40 Uhr war ich am Bremer Hauptbahnhof, also nach Mitternacht. Und somit folgt das weitere in einem Folgebericht.

Schöne Grüße
Michael aus Zofingen


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