die Geschichte habe ich vor einigen Jahren erlebt und an anderer Stelle – unter anderem Namen – veröffentlicht.
Mir kommt es vor als sei es gestern gewesen. Und doch – was bleibt ist die Erinnerung.
Stellt euch vor, ihr geht mit verbundenen Augen durch die Stadt, und seid angewiesen auf das, was euch Gehör, Nase und die Tastsinne mitteilen. Lasst euch von meinen Füssen von einem Ausflug erzählen.
Ich wünsch euch viel Spaß mit dieser Geschichte der etwas anderen Art
Es war irgendein Sommertag 2010, gefühlt eine Ewigkeit her. An diesem Tag wurden wir, wie auch die Tage zuvor, erst einmal für kurze Zeit in Schuhe gepackt. Na ja, die gingen noch, waren leicht und luftige Sandalen, mit Zehenfreiheit. Gabriel sagt, es gibt Gelegenheiten da ist es besser, möglichst unauffällig zu gehen, damit sich niemand an uns erinnert. So eine Gelegenheit war immer morgens eine Weile nach dem Aufstehen, bevor wir dieses Haus da verließen. Kaum draußen, außer Sichtweite von den Leuten die sich nicht erinnern sollen, wurden die Sandalen abgestreift und im Rucksack verstaut. Es wurde auch langsam Zeit, denn wir waren es die Tage gewohnt, immer frei herum zu laufen.
Es war kühl, der Boden war noch nass von dem Wolkenbruch, der gerade den Ort heimgesucht hatte und nun eine kurze Verschnaufpause machte. Hier die Platten, mit leicht steiniger Oberfläche, danach kamen Rillen die die kurz darauf folgende Bahnsteigkante ankündigten. Wir blieben stehen, bis ein Windzug das Nahen der S-Bahn ankündigte. Ein Schritt von normaler Länge, schon waren wir drin. Ein ziemliches Gedränge hier, von Schuhen aller Art. Ab und zu Pantoffeln, viele Stoffschuhe, manche Stiefel und so komische Dinger auf Stelzen. Die darin steckenden Füße taten uns besonders leid, High heels nennen es die Menschen, wer denkt sich so ein Folterwerkzeug denn aus? Die Trägerinnen müssen sich doch damit beide Haxen brechen wenn sie nicht aufpassen. Wir hatten erst mal Angst, dass sie uns die Zehen brechen, und machten uns ganz klein unter dem Sitz.
Zum Glück dauerte die Fahrt nicht lange, wir durften raus und uns etwas bewegen. Ein paar Stufen treppauf, treppab, und weiter ging die Reise. Hier waren nicht so viele Leute unterwegs, wir hatten viel Platz und konnten uns recken und strecken wie wir wollten. Zumindest am Anfang. Je näher wir der großen Stadt kamen, desto voller wurde es, und desto nervöser tippelten wir hin und her. Wir spürten das Zittern des Bodens, bei jeder Weiche gab es einen Ruck. Wir mussten kurz vor dem Ziel sein, den Leuten nach zu urteilen die sich um uns herum an die Tür drängelten.
Aua. Muss das denn jetzt sein? Ja, es muss. Gabriel missbrauchte uns, um die Türe aufzustoßen. Kleiner Trost, nicht nur wir, sondern auch die Ellbogen mussten ran, denn das war eine der altmodischen Türen die nur mit Muskelkraft zu öffnen sind. Schnell weg hier, bevor jemand auf uns herumtrampelt.
Uff, das war geschafft. Nach einem hin und her auf viel zu glatten Fliesen fühlen wir uns erleichtert. Es schien, als hätten wir nicht mehr ganz so viel zu tragen wie noch vor ein paar Minuten. Schnell eilten wir davon, raus aus dem Gebäude. Grobkörniger Asphalt wechselte sich ab mit fest getrampelter Erde, dazwischen Kanten aus hartem Stein. Etwas Kaltes streifte unsere Sohlen, es schien wohl Metall zu sein. Oh Mann, der hatte es aber heute eilig. Na ja genauso genommen hat er es ja immer eilig, doch heute fiel es uns besonders auf. Schließlich waren wir ja nicht auf der Flucht.
Immerhin war Gabriel so freundlich, uns wieder mal ne kleine Rast zu gönnen, nachdem wir mit einem schnellen Satz in etwas gesprungen waren, was die hier „off-topic-Fahrzeuge“ nennen. Wo er uns heute wohl hinführen wollte? Bis wir es erfahren sollten, mussten wir uns noch etwas gedulden.
Es rüttelte, das Ding stand. Es schien wohl hier die Endstation zu sein. Und es versprach uns die Aussicht, uns endlich auslaufen zu dürfen.
Gibt’s hier auch was andres als groben Teer und olle Betonplatten? Is ja fast wie daheeme im gelobten Land, es gibt wirklich schönere Untergründe. Immerhin, von Natur war hier schon was zu spüren, wenn auch nur in Form eines Kiefernzapfens der uns grad im Weg herumlag. Beinahe hätten wir ihn platt getreten, was musste der auch hier seinen Siebenschlaf halten. Immer dem großen Zeh nach, immer geradeaus. Waren wir hier schon mal? Der Unsicherheit nach, mit dem wir einen Schritt vor den anderen setzten, sicherlich nicht. Und doch… so genau wussten wir das nicht mehr. Wir bewegten uns in leichten Kurven abwechselnd mal rechts, mal links von der Straßenmitte. Die Stufe kannten wir. Uns dämmerte, da mussten wir hoch.
Lang hat die Rast nicht gedauert, da ging es wieder abwärts, diesmal in Begleitung von sechs Weggefährten von denen die meisten am liebsten frei herumliefen wie wir selber. Wo die uns wohl hin führten? Ein Weilchen noch auf Asphalt, danach auf einem gut gepolsterten Untergrund aus regennassen Pflanzen. Eine Wohltat war das. Na ja, nicht ganz, denn zwischendurch waren immer mal welche dabei, die pieksten. Wir acht quicklebendigen Füße sprangen geschickt über die Quälgeister, allen konnten wir nicht ausweichen doch die paar Sticheleien hatten wir alle überlebt.
Der Untergrund wurde immer weicher. Die Sonne hatte den Boden erwärmt, und so war es eine Wohltat auf im zu gehen. Immer schön hintereinander, im Gänsemarsch spazierten wir auf dem Trampelpfad. Recht uns links von uns wuchsen stachelige Hecken, an denen manchmal einer stehen blieb und die anscheinend wohlschmeckenden Früchte vernaschte. Dafür durften wir nachher auf Holzbohlen gehen, und noch ein bisschen später unsere Zehen in den Sand eingraben. Leute, war das angenehm – so konnten wir es aushalten.
Mit dem großen Zeh hätten wir Bildchen in den Sand malen können, kleine Kreise oder andere Figuren. Nein, doch lieber nicht. Wer weiß was die anderen sonst von uns denken, so ließen wir es lieber bleiben unsere Stimmung für alle sichtbar hier zu zeichnen.
Es wurde auch Zeit, sich wieder zurück an den Ausgangspunkt zu bewegen. Frisches, kühles Grünzeug auf dem so manch ein Menschenfuß und tierischer Huf sich bewegte brachte uns ein Stück weit Richtung Waldrand. Ach, wenn bloß die fiesen kleinen Steinchen hier nicht wären – so was sind wir doch nicht gewöhnt. Tapfer liefen wir hinter den Vorgängern her, ein Paar das anscheinend so abgehärtet ist dass denen das nichts ausmacht. Nur jetzt nicht abhängen lassen, das würde uns der Lebenskünstler nie verzeihen. Wir blieben dran, auch wenn’s mittlerweile weh tat.
Zum Glück dauert auch der längste Weg nicht ewig, und so bogen wir irgendwo von den spitzen Steinchen wieder ab auf angenehmeren Untergrund. Geschafft.
Schade nur, dass sich damit auch der Ausflug dem Ende zu neigte. Noch eine viel zu kurze Stunde Pause, dann mussten wir los – mit der Bahn zurück in das gelobte Land.
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