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Hobby-Barfuß-Renaissance-Forum

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Dieses Thema hat 2 Antworten
und wurde 664 mal aufgerufen
 Barfuß und Leben
Zalesski Offline




Beiträge: 24
Punkte: 22

20.03.2023 11:43
Kalter Februar in Jerusalem und ein barfüßiges Mädchen auf der Prophetenstraße Zitat · Antworten

Im Februar bin ich im Urlaub nach Israel gereist und in einem Hotel im Zentrum von Jerusalem abgestiegen. Ich begegnete diesem bezaubernden lockigen barfüßigen Mädchen mit Brille in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, vom 16. auf den 17. Februar, in der Nähe der Straßenbahnhaltestelle „Ha-Dawidka“. Ich bin gegen zwei Uhr morgens spazieren gegangen, mit einem Wintermantel und allem, was ich im Koffer hatte, weil die Lufttemperatur etwa 2-3 Grad Celsius betrug. Mir fiel sofort die elegante, gepflegte Erscheinung des Mädchens auf. Der dunkelrote Lippenstift harmonierte perfekt mit der Farbe des langen Kleides und mit dem hellen oder besser gesagt schneeweißen Ton ihrer Haut. Vielleicht denkt sie, dass ein barfüßiges Mädchen besonders anständig und gepflegt aussehen sollte, damit sie nicht als obdachlos, informell, besoffen, verrückt gilt? Aber keiner der Passanten (trotz der späten Stunde gar nicht so wenigen, denn in diesem Land braucht man sich nicht vor Nachträubern oder Randalierern, sondern vor Selbstmordattentätern zu fürchten, die nicht gerne ihre üblen Taten im Dunkeln begehen) schien das barfüßige Mädchen zu beachten. Niemand glotzte sie an oder machte blöde Kommentare. Das hängt natürlich mit einer besonderen israelischen Toleranz zusammen, aber auch mit dem Verhalten des Mädchens selbst, das schnell und selbstbewusst auf ihr Ziel zuging, in ihr Smartphone vertieft und ohne darauf zu achten, was die Leute über ihre Barfüßigkeit denken. Nicht einmal mich bemerkte sie, als ich ihr auf dem schmalen Bürgersteig der Prophetenstraße folgte und an der Bushaltestelle beobachtete (Entschuldigung für die Qualität der Fotos, ich war noch nie gut in Nachtaufnahmen).







Anscheinend hatte das Mädchen über ihr Smartphone herausgefunden, dass der benötigte Bus nicht bald ankommen würde, und beschloss, zur nächsten Haltestelle zu laufen, wo sie etwa eine halbe Stunde wartete. Sie ging kein einziges Mal in den Leichtbau an der Haltestelle, um sich vor dem Wind zu schützten (der Winter ist für Israel die Regenzeit, aber seit Beginn meines Aufenthalts in Israel ist kein Tropfen gefallen). Von Zeit zu Zeit hockte sie, setzte sich aber auf keinen der Sitze, um ihre bestimmt frierenden Füße auf dem Gewicht zu halten oder sie auf den Nebensitz zu legen, obwohl anscheinend keiner der auf den Bus wartenden jungen Männer, Juden gemischt mit Arabern, sich setzen wollte. Nein, sie tat in dieser halben Stunde nichts, um die Dauer der Berührung ihrer Fußsohlen mit dem eiskalten Boden zu verkürzen, und trat sogar nicht öfter von einem Fuß auf den anderen als jemand, dessen Füße warm sind. Ich bekam den Eindruck, dass vor mir eine echte überzeugte Barfüßlerin war, eine Mitdenkerin, und entschied, keinen Vorwand zu suchen und die Kommunikation mit der ich sofort mit dem Wichtigsten zu beginnen. Auf diesem kleinen Bereich in der Nähe der Bushaltestelle, wo sich ein Haufen junger Männer drängte, wollte ich das aber nicht tun. Ich musste also denselben Bus nehmen, in den sie einsteigen wollte. Und das war der Bus 202 mit dem Fahrtziel Mitzpe Jericho. Das bedeutete, dass dieses zerbrechliche, zarte, aber so sture und entschlossene Mädchen in den „Gebieten“ lebt, in einer der Siedlungen in der Judäischen Wüste, die auf dem Weg nach Jericho liegen, der Stadt, die in der Bibel erwähnt wird, tatsächlich am Ende der Welt, weil es nichts weiter gibt, nur den Abstieg zum Toten Meer und dahinter - Jordanien. Und sie ist eine dieser mutigen Menschen, die ständig in einer feindseligen Umgebung leben. Aber diese Leute sind alle beschuht, und jetzt, im Winter, viele sogar bestiefelt, und sie, doppelt mutig, hat die einzige unter ihnen nichts an ihren zarten, fast kindlichen Füßen...





Ich überspringe die Details unseres 10-minütigen Gesprächs mit Annahelle Mankoff, weil ich
am 15. März schriftliche Antworten von ihr auf alle meine Fragen erhalten habe, auch auf
die, die ich im Bus gestellt habe. Ich zitiere sie aus dem Englischen übersetzt, ohne die
Fragen selbst wiederzugeben.

"Mein Name ist Annahelle, ich bin 23 Jahre alt. Ich lebe in Kfar Adumim, einer Siedlung nicht
weit von Jerusalem, Israel. Ich arbeite bei einer Bank in Jerusalem sowie in einer
Organisation, die Menschen mit besonderen Bedürfnissen begleitet. Ich bezeichne mich so
ziemlich als „Barefooter 24/7/365“, da ich das ganze Jahr über barfuß laufe. Regen ist meine
Lieblingswetter, um barfuß zu laufen. Meine Arbeit erfordert jedoch, dass ich Schuhe trage.
Als ich anfing, in der Bank zu arbeiten, fragte ich, ob es in Ordnung wäre, wenn ich barfuß
komme, aber es wurde nein gesagt, also habe ich ein Paar Hausschuhe an meinem
Schreibtisch und ziehe sie morgens als erstes an. Den größten Teil des Tages sitze ich am
Schreibtisch, daher muss ich meine Schuhe nicht tragen. Wenn ich aufstehe, tue ich es
meistens, wenn auch nicht immer. Bei meinem anderen Job, da ich mit Menschen arbeite, die
an kognitiven Behinderungen leiden und denen es schwer fällt zu verstehen, warum ich keine
Schuhe tragen soll, trage ich sie auch.

Ich habe kein Problem damit, barfuß durch die Stadt zu laufen. Ich glaube und vertraue
darauf, dass mein Körper sich selbst schützt und bei Bedarf schädliche Mikroorganismen
abwehrt. Bisher bin ich deswegen noch nicht krank geworden.

Ich besuche Cafés, Restaurants, Einkaufszentren usw. barfuß. Ich denke nicht, dass es illegal
ist. Es ist aus Sicherheits- und Versicherungsgründen problematisch, aber da es nicht üblich
ist, werde ich normalerweise nicht angehalten – die Arbeiter in der betreffenden Einrichtung
sind unvorbereitet und wissen nicht, wie sie reagieren sollen, sodass sie es meistens
ignorieren. Nur wenige Male wurde ich angehalten und gebeten, Schuhe anzuziehen. Einmal
in einem Lebensmittelgeschäft, einmal am Bahnhof der israelischen Eisenbahn und dreimal
beim Einsteigen in einen öffentlichen Bus.

Ungern muss ich zugeben, dass es mich stört, wenn Leute mich anstarren. Ich würde gerne
glauben, dass ich mich frei fühle zu tun, was ich will, unabhängig von der gesellschaftlichen
Meinung, aber leider stimmt das nicht. Es ist mir egal und es ist ein Preis, den ich bereit bin
zu zahlen, aber es kann sehr unangenehm werden, wenn Leute mich anstarren. Ich neige
dazu, in Verlegenheit zu geraten. Ich hoffe, dass ich an einen mentalen Ort im Leben
gelangen kann, an dem mir das egal ist. Inzwischen gebe ich mein Bestes, mich auf mich
selbst zu konzentrieren und nicht auf die Reaktionen anderer. Ich benutze oft Kopfhörer, lese
ein Buch oder beschäftige mich anderweitig.

Barfußlaufen gibt mir das Gefühl, frei, ruhig und aufgeschlossen zu sein. Es fühlt sich
natürlich an.

Ich persönlich kenne keine Menschen, die so oft wie ich barfuß laufen. Ich hatte noch nie
einen Partner, der mit mir barfuß gelaufen ist. Meine Familie konnte mich zunächst nicht
verstehen. Am Anfang bat mich mein Vater, Schuhe zu tragen, wenn ich zu Besuch kam,
aber allmählich gewöhnte er sich daran und hat jetzt nichts dagegen, wenn ich barfuß komme.
Er erwähnt es jedoch jedes Mal, wenn ich komme. Mein jüngster Bruder (10 Jahre alt)
möchte immer noch, dass ich Schuhe trage, wenn ich mit ihm unterwegs bin, aus
gesellschaftlichen Gründen, was verständlich ist. Viele meiner anderen Familienmitglieder
und Freunde fragen mich hin und wieder, ob ich sicher bin, dass ich keine Schuhe mitnehmen
möchte, aber irgendwann gewöhnen sich alle daran.

Die Einstellung zum Barfußlaufen variiert stark von „Das ist toll, ich wünschte, ich könnte
das auch, das ist das Beste“ über „Bist du sicher, dass du normal bist? Tut es nicht weh? Ist es
nicht gefährlich?“, „Warum würdest du das tun?“ bis „Brauchen Sie Hilfe? Benötigen Sie
Schuhe? Sind Sie in Ordnung?" bis hin zu unhöflichen Kommentaren wie „Du bist ekelhaft,
was ist los mit dir“.

Meine Lieblingsorte, um barfuß zu gehen, sind weiches Gras, Schlamm, Regen und
Bibliotheken."

Neben dem oben angeführten alles andere als perfekten, im wackelnden Bus schnell
aufgenommenen Foto von Annahelle seht ihr weiter unten noch zwei Fotos von ihr, die ich
auf Facebook gefunden habe, und zwar in der seit 2015 bestehenden und 680 Mitglieder
zählenden geschlossenen israelischen Barfußgruppe, in der Annahelle seit letztem Jahr
Mitglied ist, wobei sie nach ihren Worten seit insgesamt vier Jahren barfuß läuft.





Die erste Bildunterschrift, vom 25. Juli 2022, Bild lautet (ich übersetze die eigenenWorte von
Annahelle aus dem Hebräischen): "Heute bin ich barfuß in den israelischen Zug eingestiegen.
Ich fühle einen besonderen Sieg, es ist nicht klar, gegen wen." Die Unterschrift zum zweiten,
mit 28.11.2022 datierten Bild, wo sie anscheinend denselben schicken, nach der aktuellen
Mode aufgeknöpften Mantel trägt, in dem ich sie im letzten Februar gesehen habe, ist wie
folgt (das russische Original gehört der Urheberin des Fotos): „Ich fahre Straßenbahn und
sehe das. Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll.“


André Uhres Offline

Admin


Beiträge: 2.179
Punkte: 598

20.03.2023 15:50
#2 RE: Kalter Februar in Jerusalem und ein barfüßiges Mädchen auf der Prophetenstraße Zitat · Antworten

Danke lieber Dmytro,

für diesen schönen Bericht über ein tolle Begegnung!

Liebe Grüße
André


Montanara Offline




Beiträge: 578
Punkte: 67

20.03.2023 21:58
#3 RE: Kalter Februar in Jerusalem und ein barfüßiges Mädchen auf der Prophetenstraße Zitat · Antworten

Auch von mir vielen Dank. Eine kleine Perle.

Liebe Grüsse
Dorothea


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