Vorweg, ich bin wahlsteirer mit deutschen bis nordeuropäischen vorfahren und spreche auch nach jahrzehnten noch weitgehend hochdeutsch. Von daher fühle ich mich selbst nicht berufen, tracht bzw. trachtenmode zu tragen - ich bin nicht der ansicht, dass das zu mir passt. Zumal die regionale tracht auch oft mit einem konservativen weltbild (nebst ablehnung äußerer einflüsse) assoziiert wird, das nicht meines ist.
Aus zahlreichen quellen geht hervor, dass in vorindustrieller zeit die landbevölkerung (oder zumindest die landjugend) in der wärmeren jahreszeit barfuß ging. Aus der üblichen kleidung entwickelte sich mit erwachendem lokalpatriotismus (neben der pflege regionaler bräuche und dialekte) die ortstypische tracht, in der sich dieser umstand allerdings nur teilweise zeigt.
In einigen gebieten der Schweiz ist es nicht nur unter alten leuten üblich, tracht zu tragen, vielleicht nicht täglich, aber doch zu allen möglichen anlässen rund ums jahr. Trotz trachtenmodegeschäften in jedem mittleren ort ist das in Österreich nicht so verbreitet. Oder nur in ansätzen wie dem von bürgermeistern usw. auf dem land gern getragenen "Steireranzug".
Bei der alpauffahrt, alpabfahrt, viehmarkt und diverse jodler- und ländlerfesten in Appenzell gehört es dazu, dass ganze familien in genau definierten trachten gekleidet sind. ("Öberefahre" ist inzwischen zu einem gewissen genre auf youtube geworden; wer sich stundenlang die ohren mit kuhglocken vollbimmeln will, findet reichlich etwas dazu ...) Nicht selten sind kinder und jugendliche bei diesen sommerlichen veranstaltungen barfuss (wobei sie teils lange strecken zu fuss zurücklegen), und diese tradition ist nicht nur historisch verbürgt und in etlichen historischen berichten nachzulesen, sondern auch hochoffiziell eine option, wie auf https://trachtenverein-ai.ch/trachten/ unter "Goofeträchtli", "Meedletracht" und "Bubentracht" nachzulesen ist. Übrigens erst seit 2023/2024 in dieser ausführlichkeit erwähnt. Das "Goofeträchtli" wurde 1963 als maßnahme geschaffen, auch die kinder für die regionale tracht zu begeistern. (Den erwähnten videos zufolge gibt es dort jedenfalls einige barfüßler und das auch in erwachsenem alter. Auch chöre treten ganz oder teilweise barfuss auf.)
Weiteres beispiel trachtenverband-offizieller barfußmode übrigens aus Bayern, die "Loferl" sind kurze beinstutzen aus wolle, die von Bodensee bis Berchtesgaden getragen werden - mal barfuß und mal mit schuhen, aber immer ohne socken: https://trachtenverband-bayern.de/verban...ung/loferl.html
In der Steiermark (wo ich nun lebe) bin ich noch kaum über barfuß-trachtenträger gestolpert. Überhaupt sind trachten überwiegend eine sache der älteren landbevölkerung. Vor bald 200 jahren wurde in verbindung mit sparsamkeit bis armut erwähnt, dass barfußgehen die meiste zeit des jahres üblich war: http://www.archiv2018.vulkanland.at/de/s...nland/kleidung/ Aber eine "lebendige tradition" ist es nicht; wer hier barfuß geht, macht das aus anderen gründen und ist vielleicht eher der progressiv-alternativen szene zuzurechnen als irgendeiner traditionspflege. (Vielleicht gibt es noch die einen oder anderen "urgesteine", denen ich nur noch nicht begegnet bin ...) So sind auch beim "Aufsteirern" https://aufsteirern.at/ , einem jährlichen volkskulturfestival in Graz, zu dem alle eine tracht tragen, die eine haben, kaum nackte füße zu sehen. Anders als etwa beim Ländlerfest in Appenzell: https://www.youtube.com/watch?v=nvZscMgf3zg
Zitat von tiptoe im Beitrag #1Vorweg, ich bin wahlsteirer mit deutschen bis nordeuropäischen vorfahren und spreche auch nach jahrzehnten noch weitgehend hochdeutsch. Von daher fühle ich mich selbst nicht berufen, tracht bzw. trachtenmode zu tragen - ich bin nicht der ansicht, dass das zu mir passt. Zumal die regionale tracht auch oft mit einem konservativen weltbild (nebst ablehnung äußerer einflüsse) assoziiert wird, das nicht meines ist.
Hallo Tiptoe,
ich wohne seit 35 Jahren in der Schweiz und besitze seit fast 19 Jahren die Schweizer Staatbürgerschaft, spreche aber nach wie vor hochdeutsch mit typisch norddeutschem Einschlag (was mir schon öfters Nachteile bei Polizeikontrollen in der Schweiz, aber auch in Norddeutschland gebracht hat, weil sie meinen Schweizer Ausweis für "fingiert" hielten). Ich würde nie auf die Idee kommen, mir irgendeine in der Schweiz übliche Tracht anzuschaffen. Der Grund bei mir ist allerdings, daß eine Tracht nicht gerade billig ist und für den alltäglichen Gebrauch einmal zu schade und zum anderen häufig ungeeignet. Meine Devise in Sachen Kleidung lautet eher "soviel wie nötig, sowenig wie möglich". Fast alle Trachten (speziell für Männer) erfüllen diese Spezifikation nicht. Auch wenn es Trachten gibt, bei denen Schuhe nicht erforderlich sind, so würde ich mir bezüglich Hosenlänge overdressed fühlen. Und wenn ein Hut oder eine Mütze zur Tracht gehört, dann kann man mich damit jagen.
Dagegen spielt weniger eine Rolle, daß mir die Tracht nicht passen könnte, weil ich kein "reinrassiger" Schweizer bin. Ich kann mich noch daran erinnern, daß vor ca. 25 Jahren ein damaliger Arbeitskollege erzählte, daß seine Tochter im Schülerchor sang und dabei wie alle Chormitglieder eine Älplertracht (vermutlich Eigentum der Schule) trugen. Eine Schülerin war dunkelhäutig, was manche Zuschauer auf die Palme brachte.
Zitat von Michael aus Zofingen im Beitrag #3Meine Devise in Sachen Kleidung lautet eher "soviel wie nötig, sowenig wie möglich".
In der tat lassen die zahlreichen stickarbeiten und schmuckelemente (brosche, ohrschmuck, uhrenkette, messingbeschlagene lederhosenträger) der appenzeller sennentracht (in den umliegenden gegenden so ähnlich) wohl darauf schließen, dass es nicht um minimalismus, sondern auch um repräsentation ging ... und wie es aussieht, tendieren die trachtenvereine zum perfektionismus und maximalismus mit viel bedeutungsvollem bling-bling (bei den kindertrachten wurden einige allzu aufwendige elemente wieder reduziert).
Mein kleidungsstil ist individuell, bequem und praktisch. Dabei verschließe ich mich kulturellen anleihen/inspirationen aus unterschiedlichsten quellen nicht (das manchmal problematisierte phänomen der "kulturellen aneignung" stellt für mich nichts negatives dar, schließlich nehme ich niemandem etwas weg, wenn ich mich hier und da in der welt inspirieren lasse). Aber im zweifelsfall haben praktische überlegungen doch den vorrang.
Ob Alpen, Asien, Arabien, Afrika oder Amerika, ob heute oder vor tausend jahren, wir finden überall traditionelle kleidungsstile, die zeigen, dass männer, frauen und kinder barfuß gut aussehen können. Und genauso auch moderne interpretationen.
(Irgendwem, insbesondere kindern, wegen angeborenen merkmalen wie hautfarbe oder gesichtszüge nicht das tragen der örtlichen tracht zu gestatten, ist natürlich das hinterletzte!)
Zitat von Michael aus Zofingen im Beitrag #3Eine Schülerin war dunkelhäutig, was manche Zuschauer auf die Palme brachte.
Das wiederum würde mich auf die Palme bringen. Warum soll ein dunkelhäutiger Mensch nicht die Älplertracht tragen? Ist diese Tracht ein Privileg der Hellhäutigen?
Wir waren ja schon öfters in der Schweiz, auch mit GA und da jeweils einen ganzen Monat mit Öffies unterwegs. Da kam es schon öfters vor, dass ein Conducteur maximalpigmentiert war und - eindeutig von von klein auf gelernt - Schwyzerdütsch sprach. Ist für mich kein Wiederspruch.
Zitat von tiptoe im Beitrag #4 Ob Alpen, Asien, Arabien, Afrika oder Amerika, ob heute oder vor tausend jahren, wir finden überall traditionelle kleidungsstile, die zeigen, dass männer, frauen und kinder barfuß gut aussehen können. Und genauso auch moderne interpretationen.
Es gab die bekannte Episode mit der bekannten oberbayerischen Blaskapelle »LaBrassBanda«, deren Auftritte in kurzen landestypischen Lederhosen, aber barfuß, irgendeinem Traditionsvereinsfunktionär missfielen, der diese Hosen nur in Verbindung mit den »vorgeschriebenen« Schuhen (und vermutlich Oberbekleidung) akzeptabel fand. Eine Ganz-oder-Garnicht-Ansicht, die ein Herausgreifen und neu Kombinieren von Trachtbestandteilen missbilligt.
So weit ich weiß haben die Musiker dem Funktionär aber »den Marsch geblasen« :-D
Über den Kilt, und mit was man ihn kombinieren darf, gibt es ähnliche divergierende Ansichten.
Zitat von Bleifuß im Beitrag #6 Es gab die bekannte Episode mit der bekannten oberbayerischen Blaskapelle »LaBrassBanda«, deren Auftritte in kurzen landestypischen Lederhosen, aber barfuß, irgendeinem Traditionsvereinsfunktionär missfielen, der diese Hosen nur in Verbindung mit den »vorgeschriebenen« Schuhen (und vermutlich Oberbekleidung) akzeptabel fand. Eine Ganz-oder-Garnicht-Ansicht, die ein Herausgreifen und neu Kombinieren von Trachtbestandteilen missbilligt.
Hallo Bleifuß,
das erinnert mich noch an meine Bundeswehrzeit (1975-1976). Damals war es auch verboten, militärische mit zivilen Kleidungsstücken zu kombinieren, sowohl auf dem Militärgelände, als auch in der Freizeit. Also keine zivile Unterwäsche unter der Uniform (wurde manchmal kontrolliert) und keine Miltärunterwäsche unter der Privatkleidung (Kontrollen sind mir nicht bekannt). Einzig erlaubt waren private Sportschuhe in Kombination mit Militärsportkleidung beim Militärsport. Über barfuß beim Militärsport (außer Schwimmen) ist mir nichts bekannt.
Da die Militärkleidung dem Staat gehört, kann der auch darüber verfügen, wann und wie man die Militärkleidung gebrauchen bzw. nicht gebrauchen darf. Wenn Berufskleidung dem Arbeitgeber gehört, kann auch der darüber verfügen, was man damit machen darf.
Komplizierter wird die Sache, wenn die Kleidung zwar Eigentum des Arbeitnehmers ist, jedoch ein Logo des Arbeitgebers draufsteht. Soweit derartige Kleidungsstücke auch von Personen getragen werden dürfen, die nicht (mehr) in dem Unternehmen beschäftigt sind, kann der Unternehmer vor Gericht nichts machen. Der Arbeitgeber kann einem Arbeitnehmer kündigen, wenn er etwa einen auf das Unternehmen hinweisendes Jackett in Kombination mit einer kurzen Hose und barfuß bei einer politischen Veranstaltung trägt, da in der Schweiz ein Arbeitgeber die Kündigung nicht begründen muß. Nicht dagegen einschreiten kann er dagegen gegen betriebsfremde Personen.
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