Samstag, 7.7.2012: Ich erwachte am Morgen ca. 6.30 Uhr unter der südlichen Brücke über die Iller auf dem Stadtgebiet von Illertissen. Am heutigen Tag war das historische Kinderfest, bei dem ich vielleicht alte Bekannte oder solche, die ich bisher nur elektronisch kannte, persönlich kennen lernen würde. Das Wetter sah gar nicht gut aus, alles trübe. Nach dem Gewitter in der Nacht befanden sich noch Pfützen auf dem Illerradweg. Aber im Schutze der Brückenfahrbahn, unter der ich direkt übernachtet hatte (womit mich durch zufällig vorbefahrende/-gehende Leute im Dunkeln nicht entdeckt werden konnte) waren Schlafsack und Gepäck trocken geblieben (für mein Velo dagegen war oben kein Platz, und direkt unten am Weg wollte ich es auch nicht hinstellen, also stand es im Gebüsch und wurde naß). Ich zog mich wieder in den Schlafsack zurück, den Aldi öffnete erst um 8 Uhr (zumindest glaubte ich das). Dann zog ich mich an, und zwar ein sauberes Träger-T-Shirt und eine saubere kurze Hose. Saubere Schuhe und Socken zog ich allerdings nicht an, da ich sie zu Hause vergessen hatte. Geh ich halt barfuß!
Ich holte mein Velo aus dem Gebüsch. Oh Wunder, es war nicht platt! Hatte mein Flicken doch gehalten. Somit würde der Illertisser Velohändler mich nicht als barfüßigen Kunden kennen lernen. Aber vielleicht kennt er ja schon einen.. Und möglicherweise heißt er auch Michael. Auch die Deutsche Bahn würde wegen mir keine noch größeren Verluste einfahren.
Ich sattelte mein Velo und sorgte dafür, daß mein angefertigtes Schild „ZOFINGEN GRÜSST ILLERTISSEN“ auf dem Gepäckträger auch gut sichtbar war. Denn dieses war so ziemlich die einzige Möglichkeit, mich gegenüber bisher nicht bekannten Forumsteilnehmern kenntlich zu zeigen. Bei gutem Wetter könnte es nämlich durchaus auch andere Barfüßer in der Stadt geben. Und nicht jeder würde einen wildfremden Barfüßer ansprechen (ich auch nicht). Da ich mein Erscheinen in Illertissen im Forum angekündigt hatte, auch die Art meiner Anreise, dann wäre das Kommen eines anderen, noch dazu barfüßigen Radfahrers aus dem gar nicht ganz nahen Zofingen sehr unwahrscheinlich.
Als erstes fuhr ich zu Aldi, wo ich keine Probleme wegen meiner Barfüßigkeit oder wegen meiner kurzen Hosen hatte (und sicher nicht allein deswegen, weil kein Türsteher existent war). Es waren auch andere in kurzen Hosen oder/und in Sandalen ohne Socken, aber ohne Schuhe war keiner im Laden. Ich fuhr zum Markt, wo bereits einige Utensilien ausgestellt waren. Der „Barfußbrunnen“ war noch nicht in Betrieb um diese Uhrzeit, trotzdem schob ich mein Velo auf dem Weg und „watete“ selbst mit meinen „Nichtschuhen“ durch das „Nichtwasser“ im Bachbett. Auch auf dem Wochenmarkt waren bereits Marktstände, die jedoch ziemlich klein und einsam auf dem Platz wirkten. Möglicherweise waren an diesem Tag wegen des Festes weniger Marktfahrer gekommen als an einem normalen Samstag.
Dann ging ich zur Stadtkirche, wo kein einziger Mensch drin war und mich somit auch keiner am Betreten wegen unpassender Kleidung hindern könnte, wie es mir mal 2009 in der Frauenkirche in München passiert ist und beinahe auch im Dom zu Freising (die Geschichte mit dem „Mondgesicht“ bringt mich noch heute zum Schmunzeln). Auch ging ich zum Friedensdenkmal, wo ebenfalls ein Brunnen war.
Ob es in Illertissen ein öffentliches WC gab, und zwar ein solches, das mich nicht in den finanziellen Ruin treiben würde? Ich radelte zum Bahnhof, wo ich von dem Häuschen wußte. Und ich kam dort (legal) rein, ohne zu blechen. Und die Toiletten waren sogar sauber, so daß kein Barfüßer auf den Gedanken kommen würde, extra deswegen Schuhe anzuziehen. Und Klopapier war auch vorhanden. In welcher deutschen Stadt findet mal sonst ein Klo am DB-Bahnhof, das
1. Überhaupt vorhanden ist
2. Nicht wegen Vandalismus geschlossen ist
3. Auch für minderbemittelte erschwinglich ist
4. Sauber ist
5. Einwandfrei funktioniert?
So etwas hätte ich in Deutschland nicht für möglich gehalten (in der Schweiz schon). Ein großes Lob an die Stadt Illertissen. Auch das Waschbecken war ok, so daß ich mich entschloß, den letzten Mohr von der Fahrradreparatur vom Vortag zu entfernen, Zähne zu putzen (unter anderem zur Entfernung von Insekten, die bei während der Fahrt am Illerradweg bei einer Kollision mit meinen Zähnen den Kürzeren gezogen haben). Auch wusch ich dort meine Füße mit Wasser und Bürste. Einziger Nachteil. Zum Abtrocknen der Hände gab es nur den elektrischen Lüfter, kein Papier. Letzteres würde sich auch dazu eignen, verursachte Mohrereien am Waschbecken wieder zu entfernen, ein an der Wand fest installierter Lüfter jedoch nicht. Selbstverständlich habe ich das Waschbecken so hinterlassen, wie ich es am liebsten vorfinden würde und den Mohr auch dort entfernt. Ich benutzte mein privates Handtuch dazu, da es besser ging als Klopapier.
Irgendwie mußte ich die Zeit rumkriegen bis zum Umzug. Ein spezieller Treffpunkt der Forumsteilnehmer in der Stadt war bis zu meinem letzten Forumsbesuch nicht vereinbart worden. Im Forum hatte ich meine Reise angekündigt, danach aber nicht mehr im Forum gelesen. Somit wußte ich nicht, ob andere Teilnehmer dieses gelesen hatten, ebenso wußte ich nicht, ob diejenigen, die ursprünglich zugesagt hatten, auch wirklich kommen würden oder kurzfristig abgesagt haben. Somit rechnete ich damit, eventuell in der Stadt irgendwo schon Barfüßer unterwegs waren, möglicherweise am „Barfußbrunnen“ oder an Plätzen, die die Offtopic-Fahrzeugfans unter den Barfüßern anlocken könnte. Ich sah aber keine. Dafür sah ich, wie Trecker historische 4räder mit Holzspeichenrädern auf den Markt karrten, um sie dort abzustellen. Auch sah ich immer mehr kostümierte Leute in der Stadt. Immer wieder fuhr oder schob ich mein Velo durch die Straßen.
Wie sollte ich mich verhalten, um ein Aneinander Vorbeilaufen zu verhindern? Ich beschloß, den Startplatz des Umzugs aufzusuchen und vor dem Zug zumindest bis zum Marktplatz durch die Stadt zu fahren. Am Weiher im Osten der Stadt schien sich einiges zusammenzubrauen. Hier standen bereits etliche Schülergruppen in historischen Kostümen bereit. Zu vielen Kostümen wurden Sandalen getragen, diese waren aber bei ansonsten gleichen Kostümen nicht einheitlich, mal aus Leder, mal aus Plastik. Fast alle trugen dazu keine Socken, aber in manchen Gruppen waren auch ein paar wenige Kinder (meist Knaben), die zu den Sandalen Socken oder auch Sockenlosigvortäuschsocken (hier funktioniert das Vortäuschmanöver nicht) trugen. Einige Mädchen hatten sich vorübergehend die Sandalen ausgezogen, während sie warteten. Auch wurden schon historische Wagen bereit gestellt, überwiegend mit Hottehühtraktion, aber auch ein Ochsenkarren war dabei. Besonders interessant fand ich den Wagen mit einem Nachbau des Schlosses. In einer Gruppe von Knaben entledigten sich einige ihrer Sandalen und blieben barfuß, auch später beim Zug durch die Stadt, echt stark! Ich machte auch Fotos und wurde prompt von einer Frau (vermutlich einer Vertreterin des Lehrkörpers) gefragt, für welche Zeitung ich Aufnahmen machen würde. Ich entgegnete, daß ich kein Journalist sei, sondern mich auf einer Urlaubsreise aus der Schweiz mit dem Fahrrad befände und nun hier wäre. So etwas wie hier sähe man nicht alle Tage.
Immer mehr setzte sich die Sonne durch, aber ich konnte mich beherrschen und behielt mein „Anstands-T-Shirt“, wie Karl Heinz sagen würde, an. Der Zug setzte sich vom Weiher in Bewegung, ich fuhr voran, immer auf die Personen, die am Rand standen, achtend. Da sah ich kurz vor dem Schloßberg, wie ein barfüßiger und bekurzhoster Radfahrer (ohne Helm) eifrig Fotos machte. War das unser Michael aus Illertissen? Oder nur ein „normaler“ barfüßiger Radfahrer aus der Umgebung von Illertissen. Ich fuhr langsam vorbei in Richtung Markt (wo kein Forumsteilnehmer war, dafür ein barfüßiger Knabe im Vorschulalter beim Brunnen. Ich fuhr wieder zurück, sah wieder den barfüßigen Velofahrer, wendete nochmals, überholte ihn wieder, fuhr zum Markt, wartete irgendwo. Dann verließ ich den Zug, da eine Straße in der Innenstadt einfach zu schmal war. Stattdessen fuhr ich eine Parallelstraße, erreichte wieder den Zug. Westlich der Bahnlinie fuhr ich sogar an einem Haus vorbei, vor dem zwei barfüßige Personen (ein Mann und eine Frau) den Zug betrachteten.
Ich fuhr noch ein Stück weiter und hielt dort an, wo die Bebauung dünner wurde. Nun kam auch der andere barfüßige Velofahrer und sprach mich an. Es war tatsächlich Michael aus Illertissen! Wir gingen weiter zum Stadion und unterhielten uns weiter vor der Bushaltestelle. Dann erzählte er, daß er weiter müsse wegen seiner Tochter, die am Zug teilgenommen hatte. Wir verabredeten uns, uns um 15 Uhr wieder an der Bushaltestelle zu treffen.
Um 15 Uhr kam er wieder, diesmal ohne Velo, dafür mit Tochter. Sie war mittlerweile im Zivil, d.h. barfuß und in kurzen Hosen (und ohne Mütze). Gemeinsam gingen wir auf das Gelände des Stadions, wo mir Michael ein Bier spendierte (vielen Dank). Auf dem Festgelände war der Anteil an Barfüßern recht hoch. Nicht nur Kinder in den Hüpfburgen, sondern auch auf dem unkraut- und bienenfreien Rasen entledigten sich ihrer Treter. Auch manch ein Erwachsener war ohne Schuhe. Michael und ich unterhielten uns noch etwa eine Stunde, dann erzählte er, daß seine Tochter recht müde sei (auch ich sah es ihr an) und nach Hause müsse. Da sich bei ihm zu Hause überraschend Besuch angemeldet habe, könnte man auch später nichts mehr unternehmen. Natürlich hatte ich dafür vollstes Verständnis. Er spendierte er mir noch ein Bier, dann verabschiedete er sich von mir. Ich blieb noch eine Weile auf dem Festgelände, dann begab ich mich zum Velo. Nördlich von Illertissen zogen dicke Wolken vorbei, würde es wieder bald Gewitter geben?
Sofort entledigte ich mich des T-Shirts. Ich wollte mich irgendwo an einem Gewässer ausruhen. Das Freibad direkt neben dem Stadion, was mir Michael empfohlen hatte, war mir ein bißchen zu überlaufen. Aber ich wußte ja von einem See in Kleinkellmünz direkt am Illerradweg, dort radelte ich hin. Die dicken Wolken kamen hier nicht hin, im Gegenteil: Sie zogen sich bald ganz zurück. Es war wirklich ein angenehmes Plätzchen. Die paar Leute, die hier mit Hunden vorbeizogen, störten mich nicht weiter. Weniger schön fand ich jedoch, daß ich eine fette Zecke ausgerechnet im nicht-2c-konformen Bereich entdeckte, als ich die Badehose anzog. Bis ca. 21 Uhr verweilte ich hier am See. Lust für längere Strecken hatte ich nicht mehr. Auch wollte ich nicht mehr zum Feuerwerk nach Illertissen zurückfahren. So entschloß ich mich, die Gegend des Bahnhofs Kellmünz zu inspizieren, um den Startpunkt des Velowanderweges auf einem stillgelegten Bahndamm nach Babenhausen ausfindig zu machen. Diesen wollte ich am Folgetag benutzen. Auf dem Weg dorthin sah ich im baden-württembergischen Kleinkellmünz (Gemeinde Dettingen) eine barfüßige Frau mit Caprihosen, die ein Stück auf der Straße ging und dann auf ein Grundstück einbog. Nur wenige hundert Meter Luftlinie weiter, aber nach Überquerung von der Brücke über Iller und Eisenbahn bereits im bayrischen Markt Kellmünz war ein belanghoster Mann gerade dabei, das Tor seiner 4radeinstellhalle zu schließen.
Am Bahnhof fand ich tatsächlich den Wegweiser für den DB-Radweg Günz-Iller. Also konnte ich beruhigt meinen Schlafplatz aussuchen, diesmal nicht die Brücke in Illertissen, sondern die 4radbahnbrücke über die Iller ganz in der Nähe. Nicht einmal auf Feuerwerk mußte ich verzichten. Es war zwar nicht das (vermutlich schönere) von Illertissen, sondern eines aus Kellmünz. Diesmal war auch genug Platz, um das Velo unter der Brücke trocken zu positionieren. „Leider“ gab es in dieser Nacht aber keinen Regen, und der Verkehr auf der Autobahn hielt sich auch in Grenzen.
Schöne Grüße
Michael aus Zofingen (Fortsetzung folgt)