Freitag, 6.7.2012: Ich befand mich auf dem Weg nach Illertissen und hatte die Nacht unter einer Brücke über die Autobahn nördlich der Großen Kreisstadt Lindau verbracht. Am Morgen regnete es immer noch, zwar nur schwach, aber immerhin so stark, daß ich es vorzog, die Regenjacke überzuziehen. Kurz vor Neuravensburg hörte der Regen auf, aber es blieb trübe und im Gegensatz zum Vortag deutlich kälter. Man sah am Morgen kaum Leute in kurzen Hosen, und barfuß ohnehin keinen Menschen. Als ich die Große Kreisstadt Wangen durchquerte, machte manche Leute (speziell ältere Sieche) dämliche Gesichter, als sie mich durch die Stadt radeln sahen. Ich folgte dem Velowanderweg in Richtung Leutkirch. Dieser Weg war allerdings deutlich bergiger und länger als die Bundesstraße, er führte nämlich über Ratzenried, Engerazhofen und Herlazhofen.
In der Großen Kreisstadt Leutkirch suchte ich einen Aldi-Laden auf. Die meisten Kunden waren vergleichsweise winterlich gekleidet, ein kleines Mädchen trug sogar eine fette Wollmütze. Dieses Mädchen rief laut: „Mami, der Mann ist barfuß! Der erkältet sich doch!“ Kindermund sagt Elternschund! Einzig eine junge Mutter, die mit ihrer kleinen Tochter (im Veloanhänger) zum Einkaufen fuhr, war zwar mit Wollpullover, jedoch in kurzem Jeansrock und Crocs (ohne Socken) einigermaßen der Jahreszeit angepaßt. Die Tochter trug einen Rock, darunter ¾-Leggings, Turnschuhe und Sockenlosigkeitvortäuschsocken.
Als ich Leutkirch verließ, begann es sogar kurz zu regnen. Ich folgte der Bundesstraße über Aichstetten bis zur Iller, um dieser auf dem Illerradweg Richtung Norden zu fahren. Die Iller ist an dieser Stelle Grenzfluß zwischen Baden-Württemberg und Bayern, der Veloweg lag an dieser Stelle auf bayrischem Gebiet (und bereits auf dem Stadtgebiet von Memmingen). Der Weg war nicht asphaltiert, nach dem Regen der vergangenen Nacht teilweise matschig, auch lagen öfters abgebrochene Zweige und Äste auf dem Weg, so daß ich aufpassen mußte beim Fahren.
An dem Wehr, bei der Illerkanal aus der Iller herausfließt (auf Baden-Württemberger Seite), machte ich eine Pause. Mittlerweile war die Sonne durchgebrochen, und ich konnte auf das Tragen des T-Shirts verzichten, für den Rest des Tages. Als ich weiterfahren wollte, merkte ich, daß mein Velo Plattfuß hatte, selbstverständlich hinten. Wenn man mit viel Gepäck mit dem Velo unterwegs ist, ist die Veloreparatur besonders mühsam, da die Werkzeuge nicht gerade zuoberst liegen. Obendrein ist beim meinem neuesten Velo die Demontage des Hinterrades etwas mühsam, wegen Kette und Gangschaltungsseil, eine ziemliche Mohrerei. Noch „schöner“ wäre es nur noch, wenn einem so etwas im strömendem Regen, bei starkem Wind und an Orten, wo kein Haus, keine Brücke, kein Baum usw. zum Unterstellen in der Nähe ist. Ich demontierte das Hinterrad, überprüfte den Reifen auf allfällige Dornen, Scherben, Nägel usw., fand jedoch nichts, lediglich eine Stelle, an der etwas gesessen haben könnte. Ich setzte einen neuen Schlauch ein und baute alles wieder zusammen. Dann wollte ich mich waschen, denn nicht nur meine Hände, sondern auch Beine und Bauch (vom gelegentlichen Erschlagen von Mücken oder Brähmen) sowie die Füße (letztere eignen sich, solange man sie nicht in fettes Schuhwerk einkerkert, hervorragend zum Festhalten der Felge bei der Demontage des Schlauches, indem man eine Speiche so zwischen den Zehen positioniert wie beim Tragen von Flipflops) waren total vermohrt. Aber wo waschen? Wasser war zwar reichlich vorhanden, aber dank Zäunen, steilen Böschungen usw. unzugänglich. Also mußte ich mein Velo in diesem Zustand wieder aufrüsten.
Ich fuhr weiter in Richtung Norden, immer Ausschau haltend nach einer Waschmöglichkeit in der Iller oder einem Nebenfluß. Ich fand eine Kneippanlage, die an einem Bach lag. Hier sah ich den ersten Barfüßer des Tages, einen Rentner, der die Kneippanlage zweckkonform benutzte. Normalerweise ärgere ich mich nicht, wenn ich anderen Barfüßern begegne. Dieser aber brachte mich in Weißglut. Nicht etwa wegen der Tatsache, daß er nicht barfuß angereist war (er hatte immerhin Sandalen ohne Socken neben der Kneippanlage stehen). Auch nicht wegen seiner sonstigen Kleidung (er trug sogar kurze Hosen und keine Mütze). Auch nicht wegen der Art der Anreise (er war auch mit dem Velo unterwegs). Auch grüßte der Mann freundlich, als ich ankam. Es war einzig allein die Tatsache, daß sich der Mann (übrigens der erste Mensch, der mir im Bereich der Iller begegnete) ausgerechnet dort aufhielt, wo ich mich waschen wollte, und zwar gründlich mit Seife und Büste, und dazu ist eine Kneippanlage nicht unbedingt gedacht. Es ist ähnlich, wie wenn man mitten in der Stadt einen starken Druck auf der Blase spürt, nirgendwo ein öffentliches (oder zumindest kein gebührenfreies) WC in der Nähe ist, man endlich eine Stelle findet, die von der Straße aus nicht einsehbar ist, und ausgerechnet hier sich ein Liebespaar mit Dingen hingibt, deren genauere Erwähnung zur Löschung eines Forumsbeitrag führen würde. Endlich war der Mann weg, und ich konnte den Mohr von meiner Haut abwaschen (wobei ich dieses nicht im Becken selbst machte, sondern im Wasserauslauf hinter dem Becken. Somit kamen spätere Kneippgäste nicht mit Veloschmiere in Berührung, und die Iller, in die das Wasser wenige Meter später floß, konnte das bißchen Seife und Mohr wohl vertragen).
Also weiter mit dem Velo. Ich schaffte aber keine 10 Kilometer, dann hatte ich wieder Plattfuß. Und wieder hinten. Diesmal geschah es an einer Stelle, bei der eine Treppe ins Wasser der Iller führte. Diesmal demontierte ich sogar den Reifen und wusch ihn, aber ich fand keine auffällige Dornen. Ich pumpte den Schlauch auf und fand, daß die Luft nicht aus dem Ventil entwich, sondern ein Loch drin war. Ich pumpte den alten Schlauch auf. Auch hier war ein Loch drin, und zwar in der gleichen Entfernung zum Ventil. Ich flickte den alten Schlauch (das Loch war kleiner und der Schlauch dicker) und baute das Velo wieder zusammen. Und wieder mußte ich mich waschen. Wie weiter? Ich rechnete mit allem Möglichen (neues Loch, Flicken hält nicht usw.). Bis zur nächsten Asphaltstraße weiterfahren und von da ab unbefestigte Wege meiden? Sicher würde es mir gelingen, auch durch Schieben des Velos noch zum Umzug in Illertissen zu sein, denn auf bayrischem Gebiet befanden sich vor der Stadt Illertissen nur noch der Markt Kellmünz und die Gemeinde Altenstadt.
Ich fuhr weiter. Im Gebüsch hing in 2 Meter Höhe ein Luftballon mit Karte dran. Ich bewegte mich vorsichtig auf den Ballon zu, denn ich wollte mir keine Verletzungen an Beinen und Füßen durch Dornen, Brennnessel usw. holen. Der Ballon stammt von einer Schülerin aus einer Schulklasse in Schwarzach bei Dornbirn, vermutlich anläßlich eines Kinderfests gestartet. Somit hatte der Ballon eine ähnliche Reise hinter sich wie ich ab der Bodenseeregion, denn Dornbirn und Bregenz liegen nicht weit voneinander entfernt. Hat sich der Ballon geradlinig bewegt oder im Zickzack? Es ist doch wirklich erstaunlich, daß ich den Ballon an einem Weg abseits der Zivilisation gefunden habe. Viel größer wäre die Wahrscheinlichkeit, daß er irgendwo in einem Wald hängen bleibt und nie gefunden wird. Oder in den Bodensee stürzt (dann wäre die Karte aufgeweicht und niemand hätte die Herkunft entziffern können). Allein aufgrund dieser Tatsache entschloß ich mich, diese Karte an die Schule zurückzuschicken (unter Angabe des Fundorts), vielleicht die einzige oder diejenige, die am weitesten vom Startort entfernt war. Ich schickte die Karte auch zurück, allerdings erst nach meiner Rückkehr in die Schweiz. Der Ballon hatte bereits so viel Gas verloren, daß er sich mit nicht mehr in der Luft halten konnte. Nachdem ich die Karte abgerissen hatte erhob er sich dank „Ballastabwurf“ wieder und FUHR (er „fuhr“ tatsächlich, er flog nicht, er ging nicht und er lief auch nicht, Ennepetaler Korrektheit muß sein) in Richtung Bad Wörrishofen.
Ich folgte weiter dem Illerradweg. Kurze Zeit später wechselte er aufs nichtbayrische Ufer und war asphaltiert. Ich kreuzte Verbindungsstraße Kellmünz-Kleinkellmünz, unterquerte die 4radbahnbrücke über die Iller, die sich als möglicher regensicherer Schlafplatz eignen würde, dann an einem See vorbei. Wieder wechselte ich die Flußseite und unbefestigt ging es das letzte Stück bis Illertissen. Die erste Brücke über die Iller eignete sich als Schlafplatz. Ich inspizierte die Gegend auf mögliche Störquellen, entfernte ein paar Scherben und fuhr dann weiter. Einen knappen Kilometer weiter war die 2. Illerbrücke, die sich weniger als Schlafplatz eignete, da 4räder darunter parkierten. Hier verließ ich den Illerradweg und fuhr Richtung Stadt.
Schöne Grüße Michael aus Zofingen (Fortsetzung folgt)
Jaja, die Ballons. Ich hab vor Jahren als ich ne Ortsnahe Wanderung mit nem Kumpel im Schönbuch machte auch so n Teil gefunden. Da die Karte schon etwas im Regen gelitten hatte (bei der Wanderung waren wir ne Woche unterwegs und es hat 7 Tage geregnet ) entzifferte ich den Absendeort erst als Horb, was ja nicht so weit weg war. Der Absender (Jens, 8 Jahre alt) war gerade noch so zu entziffern. Die Adresse einer Schule war vorgedruckt, aber auch noch kaum lesbar. Ich nam die Karte mit und bei meiner Rückkehr hab ich mal die Schule gegooglet, und war bar erstaunt das es sich nicht um ne Schule in Horb/D/BW handelte sondern um Worb östlich von Bern. Latürnich hab ich die Karte zurückgeschickt und bekam nach 2 Wochen sogar nen Antwortbrief in dem der Junge und seine Eltern sich bedankten und mir mitteilten das es die am weitesten entfernt gefundene Karte war.
Gruß Engel
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