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Hobby-Barfuß-Renaissance-Forum

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Dieses Thema hat 21 Antworten
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 Barfuß und Leben
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Zalesski Offline




Beiträge: 23
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07.04.2023 00:06
Tagebuch eines Museumsaufsehers, 2021 - 2022 Zitat · Antworten

12. Juni 2021

Den ganzen Tag habe ich mich auf dieses Treffen gefreut. Aber ich habe nicht auf meine innere Stimme gehört und die Kamera sowie die Visitenkarten nicht mitgenommen. Sie sind in der Tasche geblieben, die ich in einem speziellen Schließfach verschließe, sobald ich zur Arbeit komme.

Selbst in Uniform gehüllt, schaute ich mitfühlend zu, wie Besucher beiderlei Geschlechts, während sie ein Ausstellungsstück stehend betrachteten oder sich hinsetzten, um sich eine Audioaufnahme anzuhören, ihre geschwollenen Füße von den völlig unerträglichen bei den heutigen 26 Grad Hitze Riemen befreiteten, die in die Haut einschnitten, und sie mit Erleichterung auf das kühle Parkett des Rotschild-Palais senkten. Doch dann zwangen sie sich die Schuhe wieder anzuziehen, als wäre es für sie undenkbar ein paar Schritte ohne Schuhe zu machen.

Und nun, gegen drei Uhr nachmittags, erscheint SIE – eine barfüßige Frau ohne Anzeichen von Schuhen in ihrer winzigen Handtasche, die genug Mut hatte, ein scheinbar unbestreitbares gesellschaftliches Tabu zu brechen, das sie daran hinderte, sich ein harmloses Vergnügen zu verschaffen! Kein Hippie, kein Rasta, keine Asoziale. Eine gewöhnlichste erwachsene Frau.

Sowohl bei uns, den Mitarbeitern des Museums, als auch bei unseren Besuchern sind die Gesichter teilweise unter einer Maske verborgen. Aber ich konnte die grauen Strähnen in ihrem üppigen, einst ganz schwarzen lockigen Haar richtig schätzen, die ihr Aussehen überhaupt nicht verdarben, denn was natürlich ist, kann nicht hässlich sein, sowie den klugen, durchdringenden Blick ihrer etwas müden, nicht von Falten, sondern von leichten Schatten umgebenen Augen und die Häutigkeit der starken, gesunden kleinen Füßen ohne Lack auf den kurz geschnittenen Nägeln, mit den Sohlen, an denen Straßenstaub sehr wenig zu haften schien. Die Knie und Hüften der Besucherin waren verführerisch durch den dünnen Stoff eines langen Sommerrocks sichtbar, das T-Shirt ließ ihre Arme und Schultern offen. Als ich näher kam, konnte ich die schwach gebräunte, keineswegs vollkommen glatte, aber so weiche Haut einer Frau um die 50 – in dem goldenen Alter, wenn die meisten Leute (ich auch darunter) den Spaß am ständigen Barfußlaufen erst entdecken, besser sehen.

Die Barfüßerin ging langsam die mir heute zugeteilte Hälfte des Stockwerks entlang, tappte genüsslich mit ihren bloßen Füßen auf dem perfekt glatten Parkett, verweilte kurz bei den Exponaten, die ihre Aufmerksamkeit erregte. Wie lange hat es gedauert? Zwei Minuten? Drei? Fünf? Als sie auf die Treppe kam, eilte ich ihr hinterher und erklärte ihr stockend, dass ich natürlich ein Aufseher sei, aber nicht ganz ein Aufseher, sondern auch ein Reporter, der Interviews mit Leuten macht, die es wagen, in der Öffentlichkeit barfuß zu gehen, und selbst in seiner Freizeit, wo es sich nur lässt, barfuß läuft, und fragte, ob ich mich mit ihr in Verbindung setzen könnte. „Aber ich gebe meine Kontaktdaten nicht gerne an Fremde weiter“, sagte sie entschlossen. „Nicht nötig“, beruhigte ich sie, „ich gebe Ihnen meine Visitenkarte, und Sie können mich selbst anrufen, wenn Sie Lust und Interesse haben. Aber alle meine Visitenkarten liegen verschlossen oben in einem anderen Gebäude. Wie lange bleiben Sie noch im Museum?“ - "Ich wollte eigentlich schon gehen." - "Ich brauche nur zehn Minuten, um eine Karte zu holen. Aber wo treffen wir uns?" - "Ich werde auf Sie im Foyer warten."

Ich sagte schnell zu meiner Kollegin, die das Stockwerk mit mir teilte: „Kannst du zehn Minuten lang auf meine Hälfte aufpassen? Ich muss etwas Privates dringend erledigen“, lief blitzschnell zwei Treppen runter, ließ in einem Augenblick den Übergang, der das 1820 erbaute Rotschild-Palais mit dem genau zweihundert Jahre später daran angebauten Neubau verbindet, hinter mir, schlich vorsichtig hinter dem Rücken des Chefs (wie konnte ich die unbefugte Abwesenheit von meiner Stelle rechtfertigen, wenn er mich jetzt sah?) zur Treppe des Neubaus, in dessen zweiten Stock wir, die Aufsichten, unseren Pausenraum haben. Ich öffnete meinen Spind, holte die Tasche heraus, nahm die Kamera und einen Stapel Visitenkarten mit und lief schnell wieder hinunter ins Erdgeschoss. SIE schaffte es inzwischen auch hinunter und wartete auf mich, offen für die Blicke aller anwesenden Museumsmitarbeiter und anderer Besucher, von denen keiner ihre Barfüßigkeit zu beachten schien. Das ist doch Frankfurt, nicht Berlin, wo man sie vielleicht gar nicht reinlassen würde, was ich neulich aus dem Forum „Hobby? Barfuß!“ erfahren habe, das ich wahrscheinlich erst Ende Sommer fertiglese. (Spätere Ergänzung: Das Gelbe Forum bis Ende Sommer 2021 wie versprochen geschafft, jetzt ist das Blaue Forum an der Reihe.) Und auch nicht Bayern, wo man Ivanna ebenso nicht in ein Museum lassen wollte - gut, dass sie nicht alleine war, sondern in Begleitung von ihren Schweizer Freunden, die es irgendwie schafften, die Aufsichten zu überzeugen (welches Museum das war, will Ivanna nicht verraten, weil sie, wie ich schon lange weiß, grundsätzlich vermeidet, über jemanden etwas Schlechtes zu sagen). Gut, dass ich in dieser Stadt lebe! Ich ignorierte die Fragen meiner Kollegen, was los ist und was diese Eile soll, rannte auf die Frau zu und drückte ihr meine Visitenkarte in die Hand: „Hier ist mein Name, hier ist die Adresse unserer Website, hier sind meine Telefonnummer und die E-Mail-Adresse. Schicken Sie lieber eine E-Mail, weil ich den ganzen Tag arbeite." - "Vielen Dank!" - "Danke Ihnen! Alles Gute, ich freue mich auf Ihre Nachricht.“

So lange unentschuldigt von meiner Position abwesend zu sein und dazu noch Bekannte im Foyer zu fotografieren wäre eine Zumutung gewesen. Also keine Fotos von ihr im Moment…

Wo musste sie so dringend hin und warum konnte sie nicht im Museum bleiben, in das sie offensichtlich aus hohen inneren Beweggründen kam?


Zalesski Offline




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07.04.2023 00:57
#2 RE: Tagebuch eines Museumsaufsehers, 2021 - 2022 Zitat · Antworten

4. Juli 2021

Diese Geschichte fand ihre Fortsetzung in einem anderen Museum – Museum für Angewandte Kunst, wo ich vorübergehend eingesetzt wurde, da die Wechselausstellung im Jüdischen Museum geschlossen hat und man weniger Aufseher brauchte. Sie wissen wahrscheinlich nicht, dass Museumsaufseher am Ende ihres Arbeitstages, bevor sie nach Hause gehen, sich zuerst an einem Ort versammeln, damit der Teamleiter sich vergewissert, dass nichts Außergewöhnliches passiert ist, alle Besucher das Museum verlassen haben und er das Museum schon schließen und den Alarm einschalten kann. In diesen wenigen Minuten kann man sich mit den Kollegen unterhalten, nachdem man sieben oder acht Stunden geschwiegen oder Standardphrasen hervorgebracht hat. Ich verrate euch ein Betriebsgeheimnis: Wenn Aufseher zusammenkommen, klatschen sie meistens über die Besucher! So hat eine Kollegin mit einem italienischen Nachnamen, die schon lange im Museum arbeitet, aber bis jetzt leider nicht so gut Deutsch kann, über eine ältere Dame erzählt, die, nachdem sie an diesem Tag vier Stunden lang nur einen Raum besichtigt hatte, erstaunt fragte: „Was, gibt es im Museum noch mehr Räume?“ Die Aufseherin erwähnte unter anderem, dass diese Frau von Anfang an ihre Schuhe auszog, wie man es macht, wenn man nach Hause kommt. Naja, kein Wunder bei diesen tollen weichen Teppichböden… Was ich aber weiter hörte, machte mein Herz sofort rasen: „Und eine Frau war schon barfuß, als sie kam. Ich habe ihr gesagt: Wollen Sie etwa unseren Boden sauber machen?“ Alle Aufseher brachten über den gelungenen Scherz ins Gelächter aus. Und ich dachte: Woanders hätte man sich nicht auf diesen im Grunde harmlosen Witz beschränkt. Man wäre von allen Seiten zusammengelaufen, hätte die „Verbrecherin“ umringt und mit Schande aus dem Museum herausbegleitet. Über solche Fälle wurde ja im Forum nicht wenig berichtet...

Warum glaube ich, dass es um dieselbe Frau geht, die ich im Jüdischen Museum gesehen habe? Erstens, weil meine italienische Kollegin sie eindeutig „Frau“, also nicht „Mädchen“ und auch nicht „ältere Dame“ nannte. Zweitens, weil sie durch ihr Äußeres oder Verhalten nicht besonders auffiel, was der klatschlustigen Kollegin sicherlich nicht entgangen wäre. Offenbar war es eine Touristin, die für ein paar Tage nach Frankfurt kam und in kurzer Zeit möglichst viel sehen wollte. Wenn das stimmt, dann sind sich meine Chancen, sie noch einmal zufällig zu treffen, leider sehr gering...


Zalesski Offline




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07.04.2023 00:59
#3 RE: Tagebuch eines Museumsaufsehers, 2021 - 2022 Zitat · Antworten

16. Juli 2021

Das Museum für Angewandte Kunst hat im angrenzenden Park eine außergewöhnliche Ausstellung von Freilichtskulpturen eröffnet, die nicht nur von außen, sondern auch von innen besichtigt werden können. Diese Skulpturen sind durch ein gemeinsames Umweltthema verbunden. Eine davon ist ein Haus, das vollständig aus Pilzen gebaut wurde. Am Eingang ist ein Schild angebracht, auf dem schwarz auf weiß geschrieben steht: „Zum Schutz der Skulptur bitte am Eingang die Schuhe ausziehen.“



Seit einigen Tagen schaue ich in der Mittagspause zu, wie dieses erfreuliche Verbot eingehalten wird, auch nach der Arbeit gehe ich hier vorbei. Und was? Nichts. Niemand betritt die Skulpturen und niemand zieht die Schuhe auf seine eigene Initiative aus. Man benötigt eine ausdrückliche Aufforderung des Guides. Dann sieht das ungefähr so aus, wie auf den Bildern, die entstanden sind, als ich mich einer Führung angeschlossen habe.




Zalesski Offline




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07.04.2023 01:18
#4 RE: Tagebuch eines Museumsaufsehers, 2021 - 2022 Zitat · Antworten

4. August 2021

Zuerst war ich überrascht, als ich ein Paar nackte Füße auf dem Rasen in der Nähe des Pilzhauses sah, weil die Skulpturen nur freitags, samstags und sonntags geöffnet sind und an diesem Tag Dienstag war. Als ich genauer hinschaute, sah ich, dass die Tür geschlossen war und das Ausstellungspersonal fehlte. Ich verstand, dass dieser junge Mann mit einem wunderschönen, fein gelockten üppigen blonden Haar, um das jedes Mädchen ihn beneiden könnte, und einem ziemlich großen Rucksack auf seinem Rücken, viel größeren als man einem wissgierigen Einheimischen zumuten könnte, nicht vor dem Betreten des Ökohauses die Schuhe ausgezogen hatte, sondern ganz ohne Schuhe hierher gekommen war und nun barfuß die Skulpturen eine nach der anderen von außen besichtigte. Ich hatte noch zehn Minuten Mittagspause übrig und ließ ihn nicht aus den Augen, während er sich dem Hauptgebäude des Museums für Angewandte Kunst langsam näherte. „Ich bin nicht für diese Ausstellung zuständig, obwohl sie zu unserem Museum gehört, sondern ich arbeite innerhalb des Gebäudes. Darf ich Ihnen eine private Frage stellen? In meiner Freizeit gehe ich ebenso meistens barfuß, auch im Winter“, so begann ich das Gespräch. Meine Worte kamen dem jungen Mann nicht überraschend, anscheinend war er es gewohnt, dass die Leute ihm mit aufmerksamen Blicken folgen und ihn manchmal ansprechen, um das Rätsel seiner Barfüßigkeit zu lösen. „Ich habe mit so etwas gerechnet“, sagte er. Ich gab ihm meine Visitenkarte und wollte, dass er sich seinerseits vorstellt. Julius kommt also aus Münster und studiert an der dortigen Universität Politik. „Ich habe gehört, dass Münster eine Fahrradstadt ist. Ist das so?" - "Ja. Man sagt, dass jeder Münsteraner drei Fahrräder hat: ein gutes, ein schlechtes und ein gestohlenes.“ - „Wie viele haben Sie denn?“ - „Zwei.“ - „Man könnte es erahnen, weil Sie nicht wie ein Dieb aussehen. Und Sie fahren barfuß Rad, stimmt?“ - "Ja, klar. Nur nicht im Winter. Wie beim Barfußlaufen: ungefähr von Februar bis November." -"Mussten Sie schon mal mit dem Fuß bremsen?“ - „Ja, sowas passiert mir ab und zu. Wenn die beiden Bremsen versagen, muss man eben mit dem Fuß bremsen.“ - „Verstehe ich richtig, dass Sie nicht Politik, sondern Politikwissenschaft studieren“, fuhr ich fort, „denn man kann Politiker durch Ausbildung nicht werden, oder irre ich mich?“ „Natürlich haben Sie Recht“, erwiderte Julian, „ich studiere zwar Politik als Wissenschaft an der Uni, aber Politiker kann ich mich auch nennen, weil ich mich seit langem in der praktischen Politik auf kommunaler Ebene engagiere. Ich bin Mitglied des Gemeinderates in einem der Dörfer nicht weit von Münster und nehme in dieser Funktion an einigen Ausschüssen im Kreisrat teil. Ich habe den Wahlkampf barfuß durchgeführt und bin barfuß in Versammlungen. Niemand wundert sich darüber. Im Gegenteil, man stellt Fragen, wenn ich aus irgendeinem Grund in Schuhen erscheine. Aber das passiert sehr selten. Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich mich vor dem Winter noch etwas scheue. Ich komme an meine Grenze, wenn die zweistellige Lufttemperatur zur einstelligen wechselt.“ „Und was ist mit Ihrem Privatleben?“, fragte ich, „Sind Sie verheiratet?" - „Nein, noch nicht verheiratet.“ - „Haben Sie eine Freundin?“ - „Auch keine. Im Moment lebe ich bei meinen Eltern.“ – „Stellen Sie sich mal vor: wenn Ihre künftige Freundin sagt, dass sie Ihren Barfuß-Lebensstil nicht mag, dass sie ihn unanständig findet, dass niemand so was tut, dass alle Leute auf der Straße auf Sie achten und sie sich schämt, mit Ihnen zu gehen, wie reagieren Sie, was sagen Sie dazu?“ - „Ich werde nicht auf sie hören. Ich werde weiterhin das tun, was ich für richtig halte.“ Was für eine tolle Antwort! „Auf der Visitenkarte, die ich Ihnen gegeben habe“, sagte ich zu Julius, „ist neben meinen Kontaktdaten auch die Adresse unserer Website angegeben. Dort sind hauptsächlich Fotos von Mädchen, weil sich Jungs schämen, fotografiert zu werden. Ganz anders als Sie." Das Kompliment gefiel dem jungen Mann offensichtlich. Das hat noch gefehlt, dass sich ein Politiker vor der Kamera scheut.








Julius bedankte sich bei mir für die Einladung, das eigentliche Museum für Angewandte Kunst zu besuchen, wohin ich gerade nach der Pause zurückkehren musste, aber er erschien schließlich nicht im Gebäude, obwohl er keinen Eintritt als Besitzer einer Museumsuferkarte zahlen musste. Und ich kann ihn verstehen. Er reist morgen ab, und in Frankfurt gibt es nicht weniger als 60 Museen. Wahrscheinlich gab es darunter interessantere für ihn als das MAK. Gut, dass es bei mir geklappt hat, Julius mindestens draußen zu fotografieren. Wer weiß, vielleicht habe ich mit dem künftigen barfüßigen Bürgermeister von Münster gesprochen oder sogar mit jemandem noch hochrangigeren? Einer sollte schließlich der Erste sein, wie der prominente Politiker Joschka Fischer, der mit seinem Auftritt in Turnschuhen 1985 bei der Vereidigung im hessischen Landtag als Minister für Umwelt und Energie eine kleine Revolution machte.


Zalesski Offline




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07.04.2023 01:38
#5 RE: Tagebuch eines Museumsaufsehers, 2021 - 2022 Zitat · Antworten

30. Oktober 2021

Nach dem sommerlichen Misserfolg mit einer Besucherin des Jüdischen Museums nehme ich meine Kamera nicht nur immer mit zur Arbeit, sondern sie liegt bei mir ständig in einer Tasche der Uniformjacke. Als sich die Kälte einsetzte (heute Nachmittag waren es 7-8 Grad, und es wollte nicht aufhören mal stärker mal schwächer zu regnen), verlor ich fast die Hoffnung, einem Barfüßer in den Wänden meines Museums zu begegnen. Doch die Realität übertraf alle meine Erwartungen. Genauso wie damals im Sommer meckerte keiner der zahlreichen Mitarbeiter, wenn ein barfüßiger Mann in Begleitung einer beschuhten Dame das Museum besucht hat. In ihrer Gesellschaft haben mich heute Dutzende von Augen der Mitarbeiter, darunter die von meinem direkten Vorgesetzten, dessen rasierten Kopf und kräftigen Rücken ihr auf dem ersten Fotos seht, beobachtet.



Im Gegensatz zu jenem Sommertag, als ich den mir zugewiesenen Raum nicht verlassen durfte, war ich jetzt zum Glück im Foyer eingesetzt und hatte mehrmals die Gelegenheit, das Paar zu treffen, sich mit den beiden zu unterhalten und sie sowohl innerhalb als auch außerhalb des Gebäudes mit meiner Kamera aufzunehmen.







Also, erlaubt mir euch meinen neuen Bekannten und, man kann schon sagen, nachdem wir uns auf Facebook angefreundet haben, meinen Brieffreund Cornelius Butz vorzustellen. Er behauptet übrigens, dass sein Name einzigartig ist. Meine Recherchen im Internet scheinen zu bestätigen, das diese Kombination eines Vor- und Nachnamen nirgendwo auf der Welt zu finden ist. Ein erfolgreicher Unternehmer, Edelmetallexperte und -händler, und gleichzeitig ein gefragter praktischer Psychologe, Possibility Management Trainer, Autor einiger originellen Methodiken, die das persönliche Wachstum stimulieren, kam hierher aus der ländlichen Gemeinde Seeheim-Jugenheim (16.000 Einwohner), 46 km südlich von Frankfurt, eigens wegen seiner jüdischen Ehefrau Abby (Avigal) Gilad, einer Amerikanerin, die einige Zeit in Israel lebte, einer Interpretin von Liedern auf Jiddisch und Hebräisch, die sie in Begleitung einer Gitarre singt. Mal sehen, was aus dieser Bekanntschaft wird. Auf meinen dringenden Rat hin, nachdem sie das Jüdische Museum gründlich besichtigt hatten, ging das Paar zu dessen Filiale - zum Museum der Judengasse, das 15 Gehminuten vom Rothschild-Palast entfernt liegt. Unter anderem war ich neugierig, wie Cornelius auf die Perspektive reagieren würde, in einer fremden Stadt durch kalte Herbstpfützen laufen zu müssen. Und was denkt ihr? Ohne Miene zu verziehen stapfte er mit seinen verhärteten grauen Sohlen (nur leicht grauen, nicht richtig schwarzen, denn wie konnten sie bei diesem Wetter auf dem sorgfältig gereinigten Boden des Museums schwarz werden?) ohne Regenschirm los und kam nicht einmal auf die Idee, diese Strecke in dem Auto zurücklegen, mit dem er, wie ich später rausfand, aus seinem Ort gekommen war. Nur ein wenig klagte er darüber, dass es heute ein bisschen zu viel für seinen Kopf war, aber diese Beschwerde hatte definitiv nichts mit den Füßen zu tun. (Spätere Ergänzung: Obwohl wir seit mehr als eineinhalb Jahren auf Facebook befreundet sind und regelmäßig Glückwünsche zu Festen austauschen, hat er mir noch kein Interview gegeben und ist keinem der Barfuß-Foren beigetreten, über die ich ihn informiert habe. Inzwischen hat sich ein Forum selbst aufgelöst. Vielleicht kann mein Forumswechsel und dieser bescheidene Beitrag Cornelius ermutigen, endlich meine Fragen zu beantworten und sich vor den Gleichgesinnten zu öffnen? Ich hätte auch gerne mehr Fotos von ihm, die sein tägliches Leben und seine beruflichen Aktivitäten schildern. Denn dieser durchaus sympatische, aber sehr bescheidene Mann versteckt sich auf Gruppenfotos, die auf Facebook zu sehen sind, meistens irgendwo in den letzten Reihen, wobei die Füße in der Regel nicht sichtbar sind, und das ist zu schade, weil dadurch ein ganz falsches Bild des 100%-igen Barfüßers entsteht.


Zalesski Offline




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07.04.2023 02:08
#6 RE: Tagebuch eines Museumsaufsehers, 2021 - 2022 Zitat · Antworten

31. Januar 2022

Ich bemerkte dieses attraktive, stilvolle, grünhaarige, mit Tattoos bedeckte und allerlei Ketten und Schmuck behängte barfüßige Mädchen fast am Eingang des Museums für Moderne Kunst, der von meiner Position aus gut sichtbar war, und achtete nicht einmal auf einen völlig konventionell bekleideten, unauffälligen jungen Mann, der gleichzeitig mit ihr eintrat. Sie hat nichts an der Garderobe abgegeben und blieb so angezogen, wie sie bei diesen plus 5 oder vielleicht 6, höchstens 7 Grad gekommen war. Da der junge Mann sofort die Treppe hinaufging, während sie anfing, sich im ersten Stock umzusehen, dachte ich, dass es mir nur vorkam, als wäre sie nicht allein gekommen, und vergaß ihn sofort. Das Mädchen schien sich weniger für die Exponate interessieren als vielmehr für die Broschüre mit Informationen zu den in der Ausstellung „Crip Time“ präsentierten Kunstwerken und deren Autoren. Nachdem sie einen Blick auf irgendein Objekt geworfen hatte, ging sie sofort zu einem anderen über und las wieder konzentriert in der Broschüre, als müsste sie dazu am nächsten Tag eine Prüfung ablegen.



Dabei setzte sie sich nie hin, obwohl genügend Bänke für Besucher vorhanden waren. Sie verweilte etwas länger im Raum, wo sich ein kurzer, 7 Minuten langer, gruseliger, aber durchaus humorvoller Film „Hospital Bone Dance“ ständig dreht, und sah ihn sich mehrmals von Anfang bis Ende an.

Ich ließ den Kollegen, der mich in der Mittagspause gerade ablösen sollte, etwa vierzig Minuten später zu kommen, und wartete, bis das Mädchen in einem der Räume erscheint, wo ich mich aufhalten musste. Sie war so in sich versunken, während sie die ungewöhnlichen Skulpturen betrachtete (meistens altes Haushaltszeug, mit verdrehten Gummischnüren und Elektrokabeln zusammengebunden), deren Autor 34 Jahre in einer psychiatrischen Klinik verbracht hatte, dass sie nicht einmal meine Begrüßung gehört hat. Ich wartete, bis sie in den nächsten mir zugeteilten Raum ging.

"Lassen Sie mich bei Ihnen vorstellen! Ich bin Korrespondent der Website etc.“ - Ich rasselte die paar Sätze herunter, mit denen ich normalerweise ein Gespräch mit Barfüßern beginne. Dabei vergaß ich nicht zu erwähnen, dass ich heute Morgen, wie immer sonntags, vier Stunden barfuß Zeitungen ausgetragen habe. Das Mädchen lächelte freundlich, sie fühlte sich offensichtlich von meiner Aufmerksamkeit geschmeichelt. "Wie heißen Sie denn?" - "Lies." - "Wie alt sind Sie?" - "Vierundzwanzig." - "Laufen Sie immer barfuß?" - "Ja, immer." Das übliche Ende dieser Frage, das sich auf der Zunge drehte, „... oder nur in der warmen Jahreszeit?“ wäre jetzt eindeutig unangemessen, also zögerte ich eine Sekunde. „Ich laufe so den ganzen Winter. Ich weiß nicht einmal, wo meine Schuhe sind, ich habe sie irgendwie verloren“, füllte das Mädchen die entstandene Pause und lächelte weiter. „Wie lange, seit welchem Alter laufen Sie barfuß?“ - „Seit sechs oder sieben Jahren, noch in der Schule hat das angefangen.“ - „Haben Sie schon etwas vom „Hobby? Barfuß!“-Forum gehört? Dort trete ich auch manchmal auf.“ - "Nein, davon habe ich nichts gehört." - „Sie sind eine sehr wichtige Person für uns, Lies. Darf ich Sie für meine russische Website oder für das deutsche Forum fotografieren?“ - "Ja natürlich." - „Dann wollen wir in den Raum gehen, wo Sie vorhin waren, weil die Beleuchtung dort besser ist. Und tun Sie bitte so, als würden Sie ein Objekt der Ausstellung nach dem anderen betrachten." Das Mädchen erledigte die Aufgabe gehorsam, weigerte sich jedoch entshlossen, ihre hellgrüne, zu ihrer Haarfarbe perfekt passende Maske auch für kurze Zeit abzunehmen.



Einer der Räume des Museums war während dieser Ausstellung, die gerade heute schließt, mit Bonbons in goldfarbener Verpackung gefüllt, die aus der Ferne wie Goldbarren aussahen. Die Besucher durften sie essen oder mitnehmen. Auf dem Foto unten steht Lies vor diesem Bonbonberg mit einem Bonbon in der Hand, das sie gerade hockend aus dem Haufen gezogen hat, sodass ihre Beine noch an den Knien angewinkelt sind.



Ich führte Lies von einem meiner Räume zum anderen und gab ab und zu Erklärungen zu den ausgestellten Objekten. In einem „meiner“ Räume wurde ein sehr berührender Film gezeigt, in dem eine junge Frau, die von Geburt an taub ist und trotzdem fließend die klingende Sprache beherrscht, die sie selbst nicht hört, und perfekt Lippen lesen kann, erzählt, wie sie als Kind einmal ihre Hände auf einen stark vibrierenden Stereolautsprecher legte und dadurch zum ersten Mal eine Vorstellung von Klang bekam. Sie wiederholt diesen Text zweimal: zuerst in der normalen Sprache der Hörenden und dann nur mit den Lauten, die beim Lippenlesen zu sehen sind. Es entsteht eine seltsame Reihe von Vokalen mit einer sehr geringen Menge von Konsonanten, in der es extrem schwierig ist, die vertrauten Wörter der Muttersprache zu erkennen... Ich erinnerte mich an eine gehörlose Barfüßerin aus Berlin mit russischen Wurzeln - Anna Gubar. Wie schwer hatte sie es im Leben, die Ärmste! Was sind im Vergleich dazu die Probleme, die sie aufgrund ihrer Barfüßigkeit lösen muss? Lies hat mir aufmerksam zugehört und, so schien es mir, meine Begeisterung für diesen Film voll und ganz geteilt.

„Sagen Sie mir, Lies, was ist Ihre Barfüßigkeit für Sie - eine Überzeugung oder ein Vergnügen? Warum laufen Sie barfuß?" - habe ich meiner Gesprächspartnerin endlich die Frage gestellt, die mich am meisten interessierte. „Schuhe sind ekelhaft“, antwortete sie schnell. So! Mir wurde schwindelig vor Freude, dass ich in meiner Stadt eine so begeisterte Gleichgesinnte gefunden habe. „Sie sagten, dass Sie in der Schule angefangen haben, ständig barfuß zu laufen. Haben Sie dann die Schule ganz normal absolviert? Wie viele Schuljahre haben Sie insgesamt gemacht?“ - „Insgesamt zwölf Jahre. Ich habe nur die Abiturvorprüfungen bestanden.“ - „Ach so, Sie haben ein Gymnasium besucht. Und wie fanden es die Lehrer, dass Sie in der Schule barfuß erschienen?“ - „Als Kind bin ich auch fast immer barfuß gelaufen. Aber die Lehrer erlaubten mir das endgültig erst in meinem letzten Schuljahr.“ – „Und was halten Ihre Eltern und Freunde von Ihrer Barfüßigkeit?“ - „Mama hat mich immer barfuß gehen lassen." Nach Papa habe ich mich nicht getraut zu fragen, weil das oft ein heikles Thema ist. „Unter meinen Freunden gibt es mehrere Leute, die auch immer barfuß gehen", teilte Lies mit. „Ach, wie gerne würde ich sie kennenlernen! Können Sie sie mir vorstellen, Lies?“ - "Dann brauche ich Ihre E-Mail-Adresse." - "Meine E-Mail-Adresse finden Sie auf der Visitenkarte, bitte melden Sie sich, wenn Sie mir mehr über sich und Ihre Freunde erzählen wollen. Ich werde mich darauf sehr freuen... Und was haben Sie nach der Schule gemacht, wo arbeiten Sie oder vielleicht lernen?“ - "Ich arbeite nicht. Ich verdiene nichts", sagte sie ein bisschen traurig. - "Haben Sie nach der Schule überhaupt nie gearbeitet?" - "Nein, niemals." - "Hat es damit zu tun, dass Sie barfuß laufen? Wollte Sie niemand einstellen?", wartete ich gespannt auf die Antwort. Lies schüttelte entschlossen den Kopf. "Und was wollten Sie werden, was mögen Sie am liebsten?" - "Ich interessiere mich für Computertechnik." - "Nun, dann haben Sie gute Aussichten. Ohne Zweifel schaffen Sie das... Liebe Lies, stellen Sie sich einmal vor, Sie haben eine Ausbildung zur Programmiererin gemacht und bewerben sich für einen Job. Was machen Sie, wenn Ihr Chef Ihnen verbietet, barfuß zu gehen?" - "Ich werde das niemals aufgeben.“ - "Was sind Ihre Hobbys, Lies?“, fuhr ich fort. „Sie sind gerade im Museum für Moderne Kunst. Interessieren Sie sich etwa für bildende Kunst? Können Sie selbst gut zeichnen und malen?" - "Nein, ich zeichne nicht und male nicht. Ich habe nichts mit Kunst zu tun." - "Treiben Sie irgendwelchen Sport?" - „Auch nicht.“ – „Was machen Sie dann die meiste Zeit?“ - „Ich lese." Wer würde das bezweifeln, wenn man meine Fotos von ihr sieht... „Ich will nicht in dieser Gesellschaft arbeiten", platzte sie plötzlich heraus. „Was sollte Ihrer Meinung nach getan werden, um diese Gesellschaft zu verbessern?" - "Die CDU muss weg." - "Nur die CDU?" – „Und die AfD auch. Und die FDP. Und die SPD.“ – Sie zählte alle Parteien auf, die im modernen deutschen politischen Himmel leuchten, bis auf diejenige, deren Name ihrer Haar- und Maskenfarbe entspricht. „Wissen Sie was, Lies, alle diese Onkel und Tanten in Berlin sind sehr weit weg von Ihnen, und sie werden wahrscheinlich nie von Ihrer Existenz überhaupt wissen. Wollen Sie trotzdem Ihr Leben von Ihnen bestimmen lassen? Denken Sie lieber mehr an Sie selbst. Lies, ich möchte wirklich sehr, dass Sie glücklich sind und im Leben etwas erreichen. Und außerdem habe ich noch einen bescheidenen Wunsch, dass Sie für immer barfuß bleiben, damit ihr Glück vollständig ist.“ Lies hörte mir mit offenem Mund zu.

Irgendwann musste ich doch zur Mittagspause. Als sie fast verstrich und ich noch einmal kurz zu Lies gesellen wollte, die es bereits in den zweiten Stock geschafft hatte, kam eine meine Kollegin, mit der wir uns normalerweise auf Russisch unterhalten, schnell auf mich zu: „Was ist das für ein Mädchen? Kennt ihr euch? Wo sind ihre Schuhe?“ - „Schon gut, Tatjana. Sie kam ohne Schuhe. Das muss so sein." Ich war Tatjana, die dort gerade Dienst hatte und uns weiterhin beobachtete, dankbar, dass sie, trotz ihrer Neugier, nichts mehr fragte. Leider habe ich aber eine Veränderung in Lies´ Verhalten gespürt. Sie hat meinen Erklärungen offensichtlich nicht mehr zugehört, was zu schade war, weil ich ihr noch so viel Interessantes zu erzählen hatte... Schließlich, mit der Besichtigung vom zweiten Stock noch nicht richtig fertig, eilte sie in den dritten, und dort... Und dort, ganz oben auf der Treppe, hat sie derselbe junge Mann, mit dem sie im Museum erschienen war, abgeholt.



Ich hörte ihn meinen Kollegen im dritten Stock nach einem Ort fragen, wo sie sich beide zurückziehen könnten. Die wenigen Museumsbesucher, die sich auf Polstermöbeln in der von meinem Kollegen gezeigten Ecke gerade entspannten und uns zuhören mussten, waren wahrscheinlich von meinen Worten über ein Interview zur Barfüßigkeit , eine Barfuß-Website und einen Barfuß-Forum ziemlich irritiert. "Haben Sie denn nicht bemerkt, dass wir zusammengekommen sind?" unterbrach mich Lies' Begleiter ungeduldig. „Nein, natürlich nicht, und Lies hat mir auch nicht gesagt, dass sie hier nicht allein ist, sonst hätte ich mit Ihnen beiden Kontakt für das Interview gesucht. " Während unserem Gespräch verzerrte sich Lies' Gesicht nach und nach, und schließlich brach sie in Tränen aus. "Was haben Sie mit ihr bloß gemacht?" regte sich der junge Mann auf. „Was kann ich falsch gemacht haben? Ich habe ihr ein paar Fragen zu ihren nackten Füßen gestellt, dann haben wir über Kunst gesprochen." - "Sehen Sie nicht, dass sie Ruhe will?" - "Ruhe? Also gut, ich lasse sie in Ruhe. Ich kehre jetzt zu meinem Platz im Erdgeschoss zurück. Ich bitte Sie aber sehr zu mir zu kommen, wenn sich Lies beruhigt hat. " - "Ich weiß nicht, ob wir das machen."

Eine Stunde später, als ich eine weitere, kürzere Pause genoss, begegnete ich wieder Tatjana und erzählte ihr alles sowohl von meinem Barfußlaufen in der Freizeit als auch von dem heutigen Vorfall. Tatjana nahm die Information über meine Leidenschaft ohne Begeisterung, aber auch ohne Verurteilung auf. (Spätere Ergänzung: Genauso gelassen reagierte sie, als sie mich etwa einen Monat später in der Innenstadt wirklich barfuß laufen sah, was man von einem anderen Kollegen, dem ich an diesem Tag ebenfalls begegnete, nicht sagen kann: er schämte sich furchtbar und tat, als würde er mich nicht bemerken). Für Tatjana war es wichtig, mich auf etwas anderes aufmerksam zu machen. Sie bemerkte, dass Lies´ Hände zu zittern begannen, wenn sie lange ein Buch in den Händen hielt. Oje! Mir ist das auch aufgefallen, aber ich habe es irgendwie aus meinem Kopf verdrängt. Auf Tatjanas Bitte beschrieb ich ihr, wie Lies´ Freund aussah. "Dann ist das vielleicht kein Freund, sondern eine Person, die sie beruflich betreut", stellte Tatjana fest. Oh, das ist mir bis jetzt nicht in den Sinn gekommen. Ja, ja, natürlich, ein Sozialarbeiter, ein Betreuer. Jemand, dessen Arbeit ist um solche wie sie zu kümmern. Wenn er ihr Freund wäre, wäre sie auf ihn stolz und hätte ihn am Anfang nicht verschwiegen. Und dass sie sich gerade für diese Ausstellung entschieden hat, wo Kunstwerke von Behinderten, Geisteskranken etc. präsentieret werden, ist sicher auch kein Zufall. Vielleicht hat ein Arzt ihr empfohlen, gerade diese Ausstellung zu besuchen? Ist das für sie eine Art Therapie? Glaubt mir, weder in ihrem Verhalten noch in ihren Worten gab es etwas, was von einer psychischen Erkrankung zeugen könnte. Vielleicht leidet Lies an einer Art Autismus, der manchmal von einer peripheren Neuropathie begleitet wird, wenn eine Person keine Schuhe verträgt. Solche Leute können sehr begabt, sehr kreativ und auch sehr erfolgreich sein, wie die Engländerin Bea Marshall, die Kanadierinnen Anemone Cerridwen und Sierra Larson. Ein Rätsel für mich ist, warum diese alle Fälle nur in englischsprachigen Ländern vorkommen. Vielleicht anerkennen die Ärzte in anderen Ländern den Zusammenhang zwischen dieser Zwangsbarfüßigkeit und dem Autismus nicht?

Etwa eine Stunde später sah ich von meinem Posten im ersten Stock aus, wie das besagte Paar das Museum verließ. Schade, dass sie mich nicht angesprochen haben und dass ich nie wissen werde, was in Lies gefahren ist. Aber ich war froh, dass sie sich beruhigt hat. Ich hoffe, dass der Museumsbesuch den beiden im Allgemeinen gefallen hat und unser Gespräch Lies´ Gesundheit nicht wirklich geschadet hat.

Und ich eine Barfüßerin, mit der man ruhig über alles reden kann ohne sich zu befürchten, dass sie sich ohne Grund in Tränen auflöst, werde ich bestimmt noch finden.


Lebenskünstler Offline

Admin


Beiträge: 1.217
Punkte: 226

08.04.2023 20:29
#7 RE: Tagebuch eines Museumsaufsehers, 2021 - 2022 Zitat · Antworten

danke für diesen sehr ausführlichen Bericht.

Eines hab ich jetzt schon gelernt: eure Museen kann man ungehindert barfuss besuchen. Ich merk es mir mal vor, wenn wir wieder (bei Schlechtwetter) in Frankfurt sind.

liebe Grüße
Gabriel


Zalesski Offline




Beiträge: 23
Punkte: 15

08.04.2023 21:53
#8 RE: Tagebuch eines Museumsaufsehers, 2021 - 2022 Zitat · Antworten

Sehr gerne, und ich bin immer zu einer kleinen Sonderführung mit Fotos bereit, zumal ich mich vor kurzem zum Guide im Jüdischen Museum qualifiziert habe.


André Uhres Offline

Admin


Beiträge: 2.093
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12.04.2023 21:12
#9 RE: Tagebuch eines Museumsaufsehers, 2021 - 2022 Zitat · Antworten

Zitat von Zalesski im Beitrag #6
31. Januar 2022 ... "Wie heißen Sie denn?" - "Lies." - "Wie alt sind Sie?" - "Vierundzwanzig." - "Laufen Sie immer barfuß?" - "Ja, immer."


Die Geschichte von der Lies, die hat mir sehr gut gefallen. Sie ist was Besonderes, und das macht es aus.


André Uhres Offline

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15.04.2023 07:19
#10 RE: Tagebuch eines Museumsaufsehers, 2021 - 2022 Zitat · Antworten

Zitat von Zalesski im Beitrag #5
30. Oktober 2021 ... erlaubt mir euch meinen neuen Bekannten und, man kann schon sagen, nachdem wir uns auf Facebook angefreundet haben, meinen Brieffreund Cornelius Butz vorzustellen.


Heute habe ich den Bericht über diesen Cornelius Butz gelesen, den Mann mit dem einzigartigen Namen! Mir gefällt seine lässige Kleidung, aber ich kann ihn gut verstehen, wenn er als Unternehmer seine Barfüßigkeit nicht an die große Glocke hängen will.
Ich kenne einen barfüßigen Anwalt, der das auch so bescheiden praktiziert. Allerdings war er in dem inzwischen aufgelösten Gelben Forum als aquajeans angemeldet, und hat dort sogar ein paar Beiträge geschrieben. Auch habe ich ihn nur ein einziges Mal getroffen, das war bei der Wanderung vom 27.7.2013 im Luxemburger Müllerthal, wo er sich als Jean-Paul vorstellte:
https://440931.forumromanum.com/member/f...SER=user_440931
Sein Forumname aquajeans kommt wohl von seiner Vorliebe her, mit den Jeans ins kalte Wasser zu springen, und dann barfuß zu tanzen:
https://440931.forumromanum.com/member/f...SER=user_440931


André Uhres Offline

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16.04.2023 07:26
#11 RE: Tagebuch eines Museumsaufsehers, 2021 - 2022 Zitat · Antworten

Zitat von Zalesski im Beitrag #4
4. August 2021 ... Das hat noch gefehlt, dass sich ein Politiker vor der Kamera scheut.



Lustiger Bericht über Julius, den sympathischen barfüßigen Politiker! Und mit einer tollen Antwort auf deine Gretchenfrage


André Uhres Offline

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21.04.2023 07:59
#12 RE: Tagebuch eines Museumsaufsehers, 2021 - 2022 Zitat · Antworten

Zitat von Zalesski im Beitrag #3
16. Juli 2021

Das Museum für Angewandte Kunst hat im angrenzenden Park eine außergewöhnliche Ausstellung von Freilichtskulpturen eröffnet, die nicht nur von außen, sondern auch von innen besichtigt werden können. [...] „Zum Schutz der Skulptur bitte am Eingang die Schuhe ausziehen.“

Interessante Bilder aus der Freilicht-Ausstellung mit Skulpturen, die barfuß zu betreten sind, wozu die Leute aber nur mit Überredung bereit waren


Lebenskünstler Offline

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21.04.2023 09:05
#13 RE: Tagebuch eines Museumsaufsehers, 2021 - 2022 Zitat · Antworten

wer wird denn mit Schuhen in so ein Kunstwerk klettern ... das ,könnte ja kaputt gehen


eisbaer55 Offline




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21.04.2023 12:31
#14 RE: Tagebuch eines Museumsaufsehers, 2021 - 2022 Zitat · Antworten

Hoffentlich gabs dort die Möglichkeit, sich die Füsse - vorher! - zu waschen.

Allein die Vorstellung des Geruchs von Füssen, die stundenlang in geschlossene Schuhe gezwungen waren, also genauer der Gestank der Verdauungsprodukte der in diesem Biotop gedeihenden Bakterien, ist nicht gerade prickelnd.


Was bei uns, die Füsse artgerecht ständig in Freilufthaltung, kein Problem sein dürfte.


tiptoe Offline




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21.04.2023 20:20
#15 RE: Tagebuch eines Museumsaufsehers, 2021 - 2022 Zitat · Antworten

Das ist mir auch aufgefallen, ob im felsendom in Jerusalem ...



... oder dem interieur "Visiona 2" von Verner Panton ...



... überall die folgeerscheinungen gerade ausgezogener schuhe.

Da lobe ich mir die lösung in Amritsar im Harmandar Sahib, dem heiligtum der Sikhs: eine rinne mit warmem wasser, drinnen ist jeder willkommen, voraussetzung die hände und füße sind sauber, und das gesamte gelände wird ständig sorgfältig gereinigt.


André Uhres Offline

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22.04.2023 17:09
#16 RE: Tagebuch eines Museumsaufsehers, 2021 - 2022 Zitat · Antworten

Zitat von Zalesski im Beitrag #1
12. Juni 2021
So lange unentschuldigt von meiner Position abwesend zu sein und dazu noch Bekannte im Foyer zu fotografieren wäre eine Zumutung gewesen. Also keine Fotos von ihr im Moment…


Du hast diese geheimnisvolle Museumsbesucherin so gut beschrieben, dass man kein Bild mehr von ihr braucht! Und wenn sie dir ihre Kontaktdaten nicht geben wollte, hätte sie dir auch nicht erlaubt, sie zu fotografieren, denke ich.


Lebenskünstler Offline

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08.05.2023 10:58
#17 RE: Tagebuch eines Museumsaufsehers, 2021 - 2022 Zitat · Antworten

Wo en etwa findet man die beiden Museen, wenn man denn zufällig mal in Frankfurt ist?


Zalesski Offline




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08.05.2023 23:42
#18 RE: Tagebuch eines Museumsaufsehers, 2021 - 2022 Zitat · Antworten


tiptoe Offline




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09.05.2023 10:23
#19 RE: Tagebuch eines Museumsaufsehers, 2021 - 2022 Zitat · Antworten

Danke, dann werde ich da mal beim nächsten Wienbesuch vorbeischauen.


Zalesski Offline




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09.05.2023 20:12
#20 RE: Tagebuch eines Museumsaufsehers, 2021 - 2022 Zitat · Antworten

Wien???


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